Totenmond
Alex.
»Prima«, lächelte Jan, »aber du musst wirklich nichts absagen oder so, wenn du schon mit Freunden …«
»Was machen wir denn? Eine Party? Ein Ball?«
Jan blähte die Backen und wuschelte sich durch die Haare. »Also«, er lächelte wie ein ertappter Schuljunge, »so genau habe ich mir das nicht überlegt. Ich bin da eher spontan. Es gäbe sicher so dies und das, aber …«
Alex faltete die Hände auf dem Tisch. »Okay, dann bin ich Silvesterabend um acht bei dir, und bis dahin hast du dich entschieden. Festliche Abendgarderobe – oder eher leger?«
»Tja.« Jan lachte baff und winkte den Kellner heran, um zu bezahlen. »Festlich, warum nicht?«
»Prima«, sagte Alex.
Prima, da war es ja schon.
25.
N achdem Jan bezahlt, Alex in den Mantel geholfen und ihr die Tür offen gehalten hatte, gingen beide über den tiefverschneiten Parkplatz. Alex glitt in ihre Handschuhe und zog die Schultern gegen die Kälte hoch.
Jan band sich den Schal um. »Wo steht dein Wagen?«
»Bin zu Fuß.«
»Dann fahre ich dich nach Hause.«
Alex schüttelte den Kopf. Wenn Jan sie nach Hause fuhr, wäre sie versucht, ihn noch auf einen Kaffee nach oben zu bitten. Oder sie würden noch einige Zeit im Wagen sitzen bleiben und reden. Es wäre … Es wäre einfach schon zu vertraut, und die frische kalte Luft würde ihr vielleicht ganz guttun. Ihre Gedanken sortieren, in denen sich Jan gerade mit einem Prima festgesetzt hatte. Außerdem war es wirklich nicht weit und die Innenstadt von der Weihnachtbeleuchtung erhellt. »Lass nur«, sagte sie. »Ein kurzer Spaziergang bekommt mir ganz gut, bevor ich mich wieder in die Arbeit stürze. Ich muss noch ein paar Akten durchsehen. Ich wohne nicht sehr weit von hier entfernt.«
Jan sah sie durchdringend an. Ihm schien nicht ganz wohl bei dem Gedanken zu sein.
»Keine Bange. Ich bin Polizistin, schon vergessen?«
»Ich hatte eher an die Kälte gedacht.«
Alex hakte sich bei Jan unter. »Das ist lieb, aber passt schon, danke.«
Vor seinem dunkelgrünen Golf blieben sie stehen, und Jan nahm die Schlüssel aus der Jacke.
»Oh, du bist ja Kombifahrer.«
Jan nickte und öffnete den Wagen mit der Fernbedienung. »Schon lange – wegen der Verstärker, wenn man mal einen Auftritt hat, oder dem Stativkrempel bei Außenjobs ist ein Kombi einfach praktischer. Tja, dann …«, sagte er und drehte sich zu Alex. Sie nahm ihm die Entscheidung ab und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
»Danke, Jan, es war ein wunderschöner Abend.« Ja, dachte sie. Und das, obwohl er länger als die verabredeten zwei Stunden gedauert hatte. »Fröhliche Weihnachten!«
»Dir auch, Alex.«
Keine großen Gesten mehr. Kein weiteres Herumgelaber, weil er sich noch nicht lösen wollte. Jan stieg in den Wagen ein. Er winkte noch einmal, schloss die Tür, startete und fuhr davon.
Alex atmete tief durch, fröstelte und sah hinauf zum sternenklaren Himmel. Immer noch hatte sie Jans Duft in der Nase und sah den Heckscheinwerfern nach, die in der Nacht verschwanden. Sie überlegte, was an ihm anders war als an anderen. Beschreiben konnte sie es nicht. Er wirkte einerseits noch wie ein Junge. Andererseits wie ein gestandener Mann, dem man nichts vormachen konnte. Vielleicht könnte mit ihm einiges anders sein als bislang. Bislang waren die meisten Männer an Alex abgeperlt wie Wassertropfen an einem Lotusblatt. Was seine Gründe hatte. Sie selbst war der Grund. Ihre Bindungsängste. Aber irgendetwas hatte dieser Jan, das sie in seiner Gegenwart einfach nicht daran denken ließ. Es ging keine rote Lampe an. Kein Warnblinklicht. Sie musste sich nicht zwingen, den Kopf abzuschalten.
In sich versunken ging Alex über den Parkplatz, überquerte die Straße und erreichte durch eine Seitengasse die menschenleere Fußgängerzone. Die Weihnachtsbeleuchtung tauchte sie in orangefarbenes Licht Sie passierte die weihnachtlich dekorierten Holzbuden des Weihnachtsmarkts. Irgendwo ließen Jugendliche eine Knaller-Matte hochgehen. Deutlich verfrühtes Feuerwerk. Es ratterte wie der Klang einer Maschinenpistole durch die Gassen. Statt zusammenzuzucken, hüpfte Alex gut gelaunt über ein paar am Boden liegende Versorgungskabel, bog in die Marktstraße ein, die sie in die Brüderstraße sowie schließlich in den Luisenweg führte, und dachte an Jan und alles, was er gesagt und was er nicht gesagt hatte.
Die Schmetterlinge im Bauch erstarrten in der Bewegung, als Alex die unbeleuchtete Wallgasse an der alten Stadtmauer
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