Totenmond
Wein aus der Flasche einschenken.
»Du bist also Psychologin?«, fragte er offen und unbekümmert. Nicht wenige Menschen reagierten eher reserviert auf ihren Beruf. So, als könnte Alex Gedanken lesen oder habe nichts Besseres zu tun, als ihr jeweiliges Gegenüber permanent zu analysieren.
Sie nickte und nippte an dem Weinglas. »Ja, ich arbeite als Psychologin für die Polizei.«
»So wie in CSI? Wie Jodie Foster in Schweigen der Lämmer? Profiling?«, hakte Jan nach – und klang dabei so, als sei es das Normalste von der Welt, mit jemandem zu Abend zu essen, der unter anderem mit der Untersuchung von abartigen Gewaltverbrechen sein Geld verdiente.
Alex zwirbelte eine Haarsträhne und sah Jan nachdenklich an. »Profiling«, erklärte sie und sparte sich eine umfassende Erklärung, »sagt man so dahin. Es ist der englische Ausdruck, aber sicher nicht das, wofür du es hältst. Dennoch habe ich in gewisser Weise schon damit zu tun gehabt.«
»Mit Mördern?«
»Auch das.«
»Wow.« Er trank den letzten Schluck Wein aus. »Dann muss ich ja aufpassen, was ich sage, was?«
»Solange du niemanden umbringst, haben wir kein Problem. Ansonsten lege ich dir schneller Handschellen an, als du den Anfang von Bad Moon Rising spielen kannst.«
Jan fragte: » Bad Moon Rising? Von Creedence?«
»Ja. Wieso? Was ist damit?«
»Nichts. Es ist nur …« Er schien nach der richtigen Erklärung zu suchen. »Ich hätte irgendwie nicht gedacht, dass du den Song kennst.«
»Welche würde ich denn eher kennen?«
»Hm. Ich halte dich mehr für den Tom-Waits-Typen. Oder Nick Cave.«
Alex lachte. »Wirke ich so düster?« In der Tat hörte sie viel von denen.
Jan zwinkerte. »Keine Sorge. Du wirkst keinesfalls so. Nur durchaus so, als würdest du mehr auf substanzielles Songwriting stehen.«
Alex winkte ab. »Ich komme nur deswegen darauf, weil ich das Lied heute oft gehört habe. Dieses Bad Moon. Mehr nicht.«
Ein Kellner, der aussah wie ein Model, kam angewieselt. »Darf es noch etwas sein?«
Jan fragte Alex, ob sie einen Espresso mochte. Sie mochte, und er bestellte für sich einen mit.
»Natürlich«, bestätigte der Kellner und schwirrte wieder ab.
Alex fragte: »Als Musiker laufen dir doch sicher die Groupies hinterher?«
Jan grinste – so, als habe er nur darauf gewartet, dass Alex sich nach seinen persönlichen Verhältnissen erkundigen würde. »Ja sicher, schon.«
Alex spürte einen Stich.
»Aber«, er machte eine abwinkende Geste, »immer nur dieser oberflächliche Sex. Das ist es auf Dauer einfach nicht.«
Alex lehnte sich ein wenig vor, stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und legte das Kinn auf die abgewinkelten Handflächen. »Was soll ich als Psychologin bloß davon halten?«, fragte sie mit gesenkter Stimme.
»Das will ich lieber nicht wissen.«
Alex lachte laut, als die Bedienung die beiden Espressi servierte.
»Aber um auf deine eigentliche Frage zurückzukommen«, entgegnete Jan und griff nach der kleinen weißen Tasse, »ich bin schon seit einiger Zeit solo.« Er trank den Espresso in einem Zug aus. Alex tat es ihm nach.
»Sorry. Ich wollte eben nicht so doof – also, ich wollte dich nicht überfallen, als ich das mit den Groupies erwähnt habe …«
»Kein Problem.« Jan zuckte mit den Achseln. »Und da ich schwer annehme, dass du ebenfalls solo bist, frage ich mich, ob du Lust hast, Silvester mit mir zu feiern?«
Alex’ Augen blitzten. Sie stellte die leere Tasse zurück und leckte sich die Crema von der Oberlippe.
»Silvester, hm. Tja, mal sehen, wie ich das mache«, sagte sie. Das nächste Date. Und so würde es Schritt für Schritt weitergehen. Wer wusste schon, was an Silvester sein würde? Vielleicht hätte sie an dem Tag zu tun. Die Arbeit stünde ihr bis zum Hals. Dann sah sie Jan in die Augen und dachte wieder an Helen, die angemahnt hatte, dass Alex den Job vorschob, um Männer auf Distanz zu halten. An Schneiders Vortrag darüber, dass sie sich dauernd in die Arbeit vergrub. Und daran, dass sie Jan gar nicht auf Distanz halten wollte und dass Schneider und Helen nicht recht behalten sollten, weil sie ohnehin schon oft genug recht hatten. Beide würden ihr einen Vogel zeigen, wenn sie erführen, dass Alex eine Verabredung zu einer Silvesterparty ausschlug, weil eventuell etwas zu tun sein könnte. Ausgerechnet am Silvesterabend.
Jan sagte: »Oh, wenn du schon etwas vorhast, ist das kein Problem. War nur so ein Gedanke.«
»Ich hätte Zeit«, erwiderte
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