Totenmond
stammen? Von einem toten oder lebendigen Tier?«
»Pff«, machte Schneider bei dem letzten Stichwort und sah dabei so aus, als sei das nur die Einleitung dazu, Alex zu fragen, ob sie noch alle beisammen habe. Er öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder und starrte stumm auf die Straße.
Vielleicht dachte er wie Alex gerade an die Risswunden der Opfer, die an Krallen oder Tatzenhiebe erinnerten. Daran, dass Dr. Woyta gesagt hatte, die Opfer sähen aus wie von einem wilden Tier zerfetzt. Und vielleicht dachte er auch daran, dass es hier einen Zusammenhang geben könnte – welchen auch immer.
Schließlich sagte er: »Es wurden nirgends so etwas wie Pfotenabdrücke von einer Raubkatze gefunden, wenn du darauf hinauswillst.« Er machte im Fahren eine ahnungslose Geste und patschte mit den Händen aufs Lenkrad. »Was weiß ich … Vielleicht vögelt er vorher mit denen auf einer Leopardenfelldecke. Am Ende ist der Typ nur ein weiteres durchgedrehtes Arschloch, das sich für schlauer hält, als die Polizei erlaubt.«
»Vielleicht ist er das auch, Rolf.« Alex überlegte einen Moment lang, ob sie mit ihm darüber reden sollte, was neulich Nacht wirklich passiert war. Dass sie mit der Waffe in der Hand jemandem hinterhergelaufen war. Einem Phantom womöglich. Vielleicht aber auch nicht. Wahrscheinlich würde Rolf schlicht sagen, dass sie einen Knall habe und irgendwelche Dinge überinterpretiere, was in ihrer Situation sicher nachvollziehbar, aber trotzdem paranoid sei. Auf ihn wäre jedenfalls Verlass, wenn sie darum bitten würde, das nicht rumzutratschen – auch, damit Finja nicht in Schwierigkeiten geriet.
Sie wollte gerade den Mund öffnen, als Schneider sich unwirsch über den Mund wischte und mit dem Handballen auf das Lenkrad schlug. Dann riss er das Steuer herum. Auf der glatten Fahrbahn beschrieb der Vectra einen U-Turn, brach mit dem Heck aus und furchte durch einen Schneewall am Straßenrand. Es gab einen Ruck. Alex hielt sich krampfhaft am Türgriff fest. Ihr Magen fuhr Achterbahn.
»Rolf«, rief sie, »Mann!«
Noch einmal drehten die Räder des Wagens durch. Dann hielt der Vectra Spur auf der Gegenfahrbahn. »Was wird denn das jetzt?«, fragte Alex entgeistert.
»Neuer Plan, neues Glück.«
37.
D er Luisenhof lag außerhalb der Stadt. Schneiders Vectra schraubte sich durch enge Serpentinen hoch auf die weitläufige Ebene, auf der zahllose Windräder standen, von denen nicht eines lief. Warum, dachte Alex, stellten die solche Dinger auf und verschandelten die Landschaft, wenn man sie nicht einschaltete? Aber vielleicht war es zu kalt dazu.
Einige Kilometer weiter passierte der Wagen einen dunklen Wald. Der Schnee auf den Tannen glitzerte in der Wintersonne wie Zuckerguss. Dazu passend lieferte Schneiders Autoradio einen Soundtrack aus Alpenmusik. Wenigstens, dachte Alex, stand er vor allem auf volkstümliche Orchester. Damit konnte sie besser leben als mit Musik von Hansi Hinterseer oder noch übleren Burschen.
Alex drehte eine schwarze Haarlocke auf dem Zeigefinger auf. »Wie heißt eigentlich deine Verabredung für Silvester?«, fragte sie unvermittelt.
»Maria«, sagte Schneider mit entwaffnender Offenheit. Der Name zauberte ein versonnenes Lächeln auf seine Lippen.
»Trefft ihr euch zum ersten Mal?«
Schneider schüttelte den Kopf, sagte aber nichts.
Alex boxte ihm leicht gegen den Oberarm. »Komm schon, Rolf, rück raus mit der Sprache.«
»Ich weiß ja noch gar nicht, was daraus werden wird.«
»Dein Gesichtsausdruck gerade eben hat mir etwas anderes gesagt.«
»Wieso?«
»Wenn du ›Alex‹ sagst, lächelst du nie so.«
»Du bist ja auch eine Nervensäge.«
»Sie nicht?«
Schneider warf Alex einen Seitenblick zu. »Du gibst sowieso nicht auf, oder?«
»Nein.«
Er seufzte melodramatisch und erzählte schließlich, dass er beim Rumstöbern in GetLove auf Marias Profil gestoßen war und sich überhaupt nur deswegen dort angemeldet habe, weil er neugierig gewesen sei. »Die Plakatwände in der Stadt sind ja voll mit Werbung – ich wollte nur mal gucken«, sagte er. »Auf dem Profilfoto strahlte sie diese Güte und Freundlichkeit aus. Eine tiefere Schönheit, weißte?« Er blickte lächelnd nach vorne und träumte womöglich von einem Spaziergang durch diese verschneiten Wälder Arm in Arm mit seiner Maria.
»Ich verstehe«, sagte Alex und lächelte beim Gedanken an Jan. »Hält sie, was das Bild versprochen hat?«
Schneider nickte. »Maria ist Krankenschwester und
Weitere Kostenlose Bücher