Totenmond
schon wer weiß was von seiner Nachbarin Lara Croft erzählt hatte, die mit einer Knarre in der Hand durchs Treppenhaus rannte.
»Ich hab übrigens ’nen neuen Job im Art-Café am Marktplatz«, sagte Jäger, der es jetzt ins Freie geschafft hatte. Alex blickte auf die Uhr. »Ich hab hier ein paar Gutscheine für Getränke – nimm dir doch welche.« Jäger drehte Alex den Hintern zu. In der Gesäßtasche seiner tief sitzenden Jeans steckten einige Hochglanzdrucke im Postkartenformat. Alex zog mit spitzen Fingern drei Gutscheine aus der Tasche, wobei sie darauf achtete, Arturs Po auf keinen Fall zu berühren.
»Toll. Vielen Dank«, sagte sie und steckte die Zettel ein. Schließlich fiel ihr Blick auf eine Leiter neben dem Hauseingang. Kabelstrippen hingen herab. Jemand, der einen Overall mit dem Aufdruck einer Sicherheitsfirma trug, war gerade dabei, eine Videokamera zu installieren. Die Überwachungskamera. Wenn die mal schon früher da gewesen wäre …
»Morgen«, flötete der Mann von den Sprossen herab.
»Morgen«, antwortete Alex trocken, drängte sich an Jäger vorbei, winkte ihm zum Abschied zu und lief zu ihrem Mini.
Nachdem sie das schwere Paket mit dem Tresor abgeholt hatte, rief sie Berner im Landesmuseum an. Wie immer klang er fürchterlich gestresst. »Ich weiß auch nicht, warum der unbedingt ein Fax schicken musste. Wenn ich Ihnen das weiterleite, können Sie bestimmt nichts mehr lesen.«
»Kann er das nicht noch mal als E-Mail schicken?«
Alex hörte Berner durchatmen. »Ich habe heute leider keine Zeit, da noch hinterherzutelefonieren, Frau Stietencron. Heute ist die Bauabteilung vom Landschaftsverband im Haus. Das ist unser Träger. Es geht um die Erweiterung, und …«
»Könnten Sie das Schreiben scannen lassen und mir mailen?«
»Gut«, sagte Berner zögernd. »Das könnte ich natürlich tun, ja. Ich werde das Sekretariat darum bitten.«
Alex nannte ihm ihre E-Mail-Adresse und fragte: »Was steht denn eigentlich in dem Fax?«
»Ich habe nur einen Blick darauf geworfen. Etwas über eine afrikanische Geheimsprache, soweit ich verstanden habe.«
»Geheimsprache?«
»Ja. Aber nageln Sie mich nicht fest. Es ist Ihre Post, nicht meine.«
»Dieser Züricher Wissenschaftler …«
»Moosleitner.«
»Könnte er auch ein Gutachten anfertigen? Wir benötigen solche, wissen Sie, vor Gericht.«
»Mit Sicherheit. Wenn Sie das Schreiben haben, bekommen Sie seine Kontaktdaten ja gleich mit.« Berner machte eine Pause. »Da scheint diese Sache ja doch eine größere Relevanz zu haben?«
»Ich darf leider nicht darüber sprechen, Herr Berner.«
»Natürlich. Es könnte aber eine Weile dauern, bis Sie die Mail erhalten. Es könnte heute Abend werden.«
»Das ist nicht schlimm. Ich bin ohnehin zu einem Außentermin unterwegs und erst später wieder da.«
Nach dem Gespräch dachte Alex darüber nach, was eine afrikanische Geheimsprache mit den Morden zu tun haben könnte.
46.
J enny nippte an dem Caramel Macchiato und wischte sich etwas Schaum von der Oberlippe. Dann tippte sie eine Antwort in ihr Smartphone, die das GetLove-App als Kurzmitteilung weiterleitete. So weit, dass sie ihm schon ihre Handynummer gegeben hätte, waren sie trotz allem noch nicht. Außerdem war es reizvoller so – geheim und aufregend, die Distanz zu bewahren, um sie dann bei ihren gelegentlichen Treffen ins Gegenteil zu verkehren.
»Wer ist der Typ denn eigentlich?«, fragte Silke und winkte die Kellnerin heran, um sich einen weiteren Cappuccino zu bestellen. Sie schob die leeren Frühstücksteller zur Seite.
»Geheim.« Jenny legte das Handy auf den glänzenden Metalltisch, wo sie es im Blick hatte und sofort sehen würde, wenn er sich zurückmeldete.
»Aber ich dachte, du datest den schon seit einiger Zeit?« Silke lehnte sich in dem Alustuhl etwas zurück, als die Bedienung ihr den dampfenden Cappuccino hinstellte.
»Wir haben uns vielleicht vier- oder fünfmal getroffen und vorher halt jede Menge über GetLove gemailt und so.«
»Und wer sagt dir, dass der nicht noch mit fünfhundert anderen Frauen über GetLove Mails hin und her schickt?«
»Niemand.« Jennys Mundwinkel zuckten zu einem Lächeln. Die glänzende Oberfläche des Handys zeigte noch keine neue Nachricht an.
Silke hob die Augenbrauen und streute etwas Zucker in die Tasse. »Ich weiß nicht. Echt nicht.« Sie rührte mit dem Löffel im Cappuccino herum und leckte ihn ab. »Im Internet sind so viele Wahnsinnige unterwegs – und du
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