Totenmond
mich okay.«
»Eifersüchtiger Papa?«
Jans Mundwinkel zuckten. »Ziemlich. Ich meine: Ich war recht jung, als ich Vater wurde. Ist einfach so geschehen und war nicht geplant. Ich habe immer gedacht, deswegen gedanklich und emotional relativ nahe an dem dran zu sein, was Mia bewegt und interessiert, und locker damit umgehen zu können. Aber, na ja, ist wohl doch nicht so.« Er zuckte mit den Achseln. »Das Einzige, was ich am Netz bemerkenswert finde, ist: Man kann dort eine neue Version von sich entwerfen …«
»… multiple Persönlichkeiten ausleben«, ergänzte Alex. »Was findest du daran interessant?«
»Nun ja, dass manche vorgeben, anders zu sein, als sie sind. Unter Umständen verknallst du dich in virtuelle Versionen von Menschen. Auf der anderen Seite bekommst du doch heute mit einem bisschen technischen Wissen an jede Menge reale Daten. Das ist so ein Widerspruch in sich: eine Welt voller Fakes, in der jeder User trotzdem durchsichtig ist.«
Alex nickte und dachte an Nele Bender, Antje an Huef und das dritte, noch unbekannte Mordopfer. Wieder schossen ihr die Tatortbilder durch den Kopf. Die Fotos der jungen Mädchen, bevor und nachdem sie auf ihren Mörder getroffen waren. Sie waren adoptiert, Waisen, vielleicht auch das dritte Opfer. Vielleicht waren die anderen wie Nele im Internet aktiv gewesen. Vielleicht war der Täter dort auf sie gestoßen und hatte sie durchleuchtet, überwacht, verfolgt, ihr Vertrauen gewonnen und dann zugeschlagen …
Alex atmete tief ein und aus und schloss die Augen für einen Moment. »Wann kommt Mia?«
»Etwa in einer halben Stunde.«
Alex spreizte die Zehen, ließ das Becken kreisen und sah Jan herausfordernd an. »Zeit genug.«
45.
A lex war spät dran. Für heute stand ein Termin beim LKA an, wie Veronika es gewünscht hatte, und bis Düsseldorf würde sie angesichts der winterlichen Straßenverhältnisse einige Zeit brauchen. Außerdem wollte sie die Gelegenheit nutzen, um wenigstens für einen schnellen Kaffee Helen zu treffen.
Sie war frühmorgens von Jan nach Hause gefahren, um sich zu duschen, sich umzuziehen, den vernachlässigten armen Hannibal zu füttern und noch schnell eine Runde zu joggen, wobei sie am Kiosk haltgemacht hatte, um belegte Brötchen und zwei Kaffee to go zu kaufen und den Kollegen auf die Motorhaube des Streifenwagens zu stellen, die vor ihrer Haustür wachten. Als sie am Kiosk einen Blick in die schmale Gasse warf, bekam sie eine Gänsehaut. Und als sie zum Ärztehaus sah, ein schlechtes Gewissen.
Alex hatte gerade die Wohnungstür verschlossen, als sich das Handy mit einem leisen Gong meldete. Der Ton für eine eingegangene SMS. Nummer zwei an diesem Morgen. Plus eine E-Mail.
Die eine SMS war vom Paketdienst. Alex könne ihre Sendung von der Post abholen. Das musste der Kurzwaffentresor für die Glock sein. Okay, das konnte sie gleich auf dem Weg erledigen. Außerdem musste sie dringend nachfragen, ob die Waffenbesitzkarte inzwischen umgeschrieben worden war.
Die zweite SMS stammte von Horst aus dem kriminaltechnischen Labor des LKA in Düsseldorf. Sie solle anrufen, ihre Ergebnisse seien da – gewiss, dachte Alex, handelte es sich um die Analyse der Leopardenfellprobe, die sie mit dem Klebezettel bei Petra Becker abgenommen hatte. Da sie ohnehin gleich nach Düsseldorf fahren würde, konnte sie auch persönlich mit ihm sprechen.
Die E-Mail kam von Marc Berner aus dem Landesmuseum. Er hatte eine Antwort von diesem Schweizer Ethnologen erhalten. Wie er ihr das weiterleiten solle oder ob sie sich mal melden könne. Alex beschloss, Letzteres zu tun. Von unterwegs aus.
Unten im Flur wäre sie beinahe mit Artur Jäger zusammengestoßen, der ein langärmeliges T-Shirt mit dem Aufdruck des FC St. Pauli trug und umständlich versuchte, mit dem Ellbogen die Haustür zu öffnen, während er Mülltüten und einen Karton voller Altglas balancierte – wahrscheinlich Reste seiner Silvesterparty.
»Danke, astrein«, murmelte er und lächelte, als Alex ihm die Tür aufhielt.
»War ja eine wilde Fete, was?«, sagte Alex mit Blick auf die leeren Absinth-, Wodka- und Ouzo-Flaschen in Jägers Karton.
»Hättest gerne kommen können. Da waren so einige Kumpel von mir da – die hätten sich bestimmt gefreut, dich kennenzulernen.« Jäger quetschte sich durch die Haustür ins Freie.
»Ja, schade«, antwortete Alex und dachte, dass das eine prächtige Party gewesen wäre mit einem Rudel postpubertärer Twentysomethings, denen Artur
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