Totenmond
beförderte, bis ihr schwindelig wurde, sie fast hyperventilierte und die tanzenden Schneeflocken nicht mehr von den hellen Sternchen vor ihren Augen zu unterscheiden waren.
Hinter ihr schnappte ein Feuerzeug auf und zu. Eine mit Nikotingeruch geschwängerte Atemwolke dampfte über ihrer Schulter.
»Scheißdreck«, hörte sie Schneiders heisere Stimme und kurz darauf die digitalen Pieptöne seines Handys, als er die Nummer der Zentrale wählte.
44.
W illst du darüber sprechen?«
Alex starrte an die Decke. Einige Risse im Verputz waren mit Farbe abgedichtet worden. Das Kerzenlicht warf flackernde Schatten an die Wände. Jan zeichnete mit dem Finger die Konturen ihrer Rippen nach und umkreiste ihren Bauchnabel. Die Bettdecke raschelte leise. Alex leckte einen Tropfen Rotwein von den Lippen, stellte das leere Glas auf den Nachttisch und schüttelte den Kopf.
»Besser nicht«, sagte sie und hing ihren Gedanken nach.
Sie hatte Jan wegen der Sache mit seiner Tochter eigentlich erst mal auflaufen lassen wollen und drei SMS von ihm ignoriert. Immerhin für ein paar Stunden. Aber nach dem Leichenfund im alten Schloss Oberloh … Sie wollte heute Nacht einfach nicht alleine sein und hatte ihn noch auf dem Rückweg vom Fundort aus angerufen, der inzwischen von der Spurensicherung und der Rechtsmedizin in Beschlag genommen worden war. Am Telefon hatte Jan sich zunächst vergewissern wollen, ob Alex noch sauer wegen Mia sei. Einerseits war sie das zwar, andererseits hatte sie das Gefühl, ihn ungerecht zu behandeln, und deswegen geantwortet: »Dich gibt es halt nur im Doppelpack, was soll ich machen?«
Jan stand aus dem Bett auf, um sich anzuziehen. Alex’ Blicke glitten über den Körper, der sie eben noch geliebt hatte, bevor er in einer Jeans und einem Sweatshirt verschwand.
Er sagte: »Mia kommt gleich nach Hause. Ich mache uns was zu essen.«
»Ist sie oft bei dir?« Alex legte sich auf die Seite und stützte das Kinn auf die Handfläche.
»Früher öfter«, erklärte Jan und verschloss den Gürtel. »Ihre Mutter und ich sind schon lange getrennt. Seit Mia älter geworden ist, geht sie ihre eigenen Wege und hat an den Wochenenden auch nicht jedes Mal Lust, mich zu besuchen.« Er zuckte mit den Schultern. »Wenn sie lieber mal etwas anderes machen möchte, ist das okay. Wir beide wissen, was wir aneinander haben. Dazu braucht es keine Pflichtbesuche.«
»Das Wort Pflicht ist dir sicher ohnehin zuwider.«
Jan lächelte. »Bin ich so durchschaubar?«
»Wie aus Glas«, murmelte Alex und drehte sich genüsslich auf den Bauch. »Du bist einer von denen, die falsch parken, weil sie sich von Halteverbotsschildern nicht vorschreiben lassen wollen, wo sie ihr Pferd anzubinden haben. Die deswegen zu Terminen zu spät kommen, weil ein schöner Sonnenuntergang, ein Kaffee bei Freunden oder eine gute Unterhaltung wichtiger waren.«
Jan lachte leise. Alex spürte seinen Blick über ihren Rücken gleiten. Sie knüllte das Kopfkissen zusammen, faltete ihre Hände darüber, winkelte die Beine an und überkreuzte ihre in der Luft schwebenden Füße. »Wie lange bist du schon alleine?«
»Lange genug. Es ist nicht so einfach, jemanden kennenzulernen.«
»Schwindler«, hauchte Alex.
Wieder lachte Jan. »Ich habe kein Interesse an kurzfristigen Geschichten, und jemanden zu finden, der wirklich zu einem passt – das ist wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. Insofern bist du ein echter Glückstreffer.«
»Du findest, dass ich zu dir passe? Wie ein Kleidungsstück?«
»Ein teures natürlich.«
Alex kicherte. »Aber so gut kennen wir uns doch noch gar nicht.«
»Weißt du, was das Geheimrezept für einen Hit ist? Man hört ihn – und er geht sofort ins Ohr. Er besteht zu großen Teilen aus Harmoniefolgen, die man kennt und mag, nur neu zusammengesetzt.«
»Du darfst einer Frau niemals sagen, dass sie keine Geheimnisse hat und alles an ihr bekannt ist.«
Jan warf Alex einen Blick zu. »Ich bin mir sicher, dass du jede Menge Geheimnisse hast. Und das gehört ebenfalls zu einem Hit: eine Prise des Unbekannten.«
Alex kommentierte das mit den Geheimnissen besser nicht. »Aber im Internet kannst du mich noch nicht downloaden.«
Jan winkte ab. »Das ist ohnehin nicht meine Welt. Mia hängt in Dutzenden solcher Börsen und Portale rum. Facebook, Twitter, GetLove und wie die alle heißen. Keine Ahnung, was die da den ganzen Tag online machen. Aber solange sie nicht andauernd irgendwelche Typen anschleppt, ist das für
Weitere Kostenlose Bücher