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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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Anforderungsknopf. Helen war kurz hinter ihr wortlos stehen geblieben. Alex drehte sich über die Schulter um, strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und lächelte. »Was denn?«
    »Jan?« Helen machte große Augen. Ihre Korkenzieherlocken wippten. Sie breitete die Arme in einer ahnungslosen Geste aus und ließ sie dann an ihre fülligen Oberschenkel klatschen. »Jan?«
    »Jan.«
    Helen kam jetzt näher heran, um am Ärmel von Alex’ Jacke zu zupfen. »Hallo? Schneewittchen? Jan? Dein Freund?«
    »Was man halt so Freund nennt. Also …« Alex starrte auf die Edelstahltür vor sich, hinter der es leise rumpelte. Tja. Was genau war Jan eigentlich? Ein Liebhaber? Eine Bekanntschaft? Der Anfang von etwas? Er war etwas dazwischen, und dafür gab es kein treffendes Wort.
    Alex sah, wie Helen den Kopf um sie herum streckte und sie musterte. »Du bist verliebt?«
    Alex nickte.
    »Ernsthaft verliebt?«
    Alex schwieg. Die Fahrstuhltür öffnete sich mit einem Zischen.
    »Ich will alles wissen. Alles.«
    Alex lachte leise. Dann betraten beide die verspiegelte Kabine. Sie brachte Helen in der Zeit, die der Fahrstuhl bis in den sechsten Stock brauchte, auf den aktuellen Stand.
    »Yes, strike!«, freute sich Helen und ballte die Fäuste, als sie vor Alex hinaus auf den Flur trat. »Und mach dir wegen seiner Tochter keine Gedanken – ich meine, ich habe selber eine und weiß, wie das ist. In einer neuen Beziehung müsste mein Partner auch mit ihr klarkommen, was soll’s? Ab einem bestimmten Alter bekommst du eben nur noch Secondhand-Material – entweder Gebrauchte, oder solche, mit denen irgendwas nicht stimmen kann, weil sie es bislang …« Helen legte die Hand vor den Mund. »Ups.«
    »Solche wie mich wolltest du sagen«, murmelte Alex und verließ die Kabine. »Solche, die beziehungsgestört sind, zu hohe Ansprüche haben, die nicht wissen, was sie wollen, und vor sich selbst weglaufen, weil sie Angst vor der tickenden Uhr und dem Tor haben, das sich langsam, aber sicher vor ihnen verschließt.«
    Helen schien darüber nachzudenken, wie sie das Fettnäpfchen wieder aufstellen konnte, über das sie gerade gestolpert war. Aber sie gab auf. »Ja«, nickte sie. »Genau solche wie du eben. Aber nur die Harten kommen in den Garten, oder wie heißt das? Lerne ich den mal kennen? Bald?«
    Alex verdrehte die Augen und blickte auf die Uhr. Sie war fünf Minuten überfällig.
    Helen hob abwehrend die Hände. »Okay. Bin schon weg. Ich freue mich bloß so.«
    Sie machte zwei Schritte auf Alex zu und nahm sie in den Arm, bevor sie in der Fahrstuhlkabine verschwand und zum Abschied erneut grinste wie ein Honigkuchenpferd, bevor sich die Metalltür wieder schloss.
    »Ich freue mich auch«, sagte Alex leise zu sich selbst, schulterte ihre Handtasche und ging los, um Stemmles Büro zu suchen. Sie fand es wenige Augenblicke später.

48.
    S temmle hatte ein zerfurchtes Gesicht mit Falten, die wie mit dem Meißel gezogen wirkten. Seine Haare waren kurz geschnitten und hellgrau. Der Canyon an seinen Mundwinkeln verwandelte sich in ein freundliches Lächeln, als Alex das spartanisch eingerichtete Büro betrat. Stemmles blassblaue Augen musterten sie über den Rand der Lesebrille hinweg, während sie ihn über den laufenden Fall ins Bild setzte – und darüber, dass Veronika Martens unbedingt die OFA einbinden und damit Alex in gewisser Weise übergehen wollte.
    Stemmle lehnte sich in dem Leder-Schwingsessel zurück, den er anstelle eines Bürostuhls am Schreibtisch nutzte, nahm die Brille ab und nickte eine Zeitlang wie ein Wackeldackel, wozu er ein »Mhm« nach dem anderen brummte. Schließlich drehte er seine Lesebrille am Bügel herum wie ein Kind seine Rassel und sagte: »Natürlich unterliegt die Entscheidung über Ihre Einbindung vor Ort bei der Einsatz-, Kommissions- oder Dezernatsleitung. Da kann ich nicht dazwischenfunken. Und ich glaube nicht, dass man Sie ausgrenzen will.«
    Alex öffnete den Mund, um zu widersprechen, schloss ihn aber gleich wieder.
    »Ich würde vorschlagen«, sprach Stemmle weiter, »dass Sie einen Bericht schreiben und uns das gesamte Material zur Verfügung gestellt wird. Weiter brauche ich einen formellen Antrag. Dann können wir ein Fallanalytikerteam zusammenstellen, in das ich Sie oder einen Lemfelder Kollegen möglicherweise berufen werde. Wir werden die Tatorte bereisen, alle Tatsequenzen chronologisch in eine Reihenfolge bringen und überprüfen, in welcher Weise der Täter den jeweiligen Fall

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