Totenmond
Gutachten besagte, dass das Leopardenfell, das Alex von Petra Beckers Sessel abgenommen hatte, künstlich war. Im Gegensatz zu den Fasern, die an den inzwischen drei Tatorten gefunden worden waren – Horst hatte vorsorglich eine Vergleichsanalyse beigefügt. Bemerkenswert war, dass die alten Proben zu ein und demselben Leopardenfell gehörten. Es hatten sich Spuren des Stoffgemisches Eulan U33 gefunden – ein von Bayer entwickeltes Textil- und Teppichschutzmittel gegen Käferfraß. Die Herstellung war 1988 eingestellt worden. Es handelte sich dabei jedoch nicht um den Wirkstoff, der in Mottenkugeln enthalten war. Darin wurde Naphthalin verwendet. Eulan U33 habe man früher zur Tierpräparation eingesetzt.
Was ViCTOR ausgespuckt hatte, war noch sehr viel interessanter. Und zugleich verwirrend. Sie versuchte, ihre Kollegen zu erreichen, um ihnen von dem Fund zu berichten. Reineking, Kowarsch, Schneider. Aber wie sie erfuhr, waren sie allesamt damit befasst, Licht in das Dunkel des dritten Mordfalls zu bringen und die Identität der Leiche herauszufinden. Alex überlegte, ob sie Schneider auf dem Handy anrufen sollte, ließ es aber zunächst bleiben und schickte ihm auch keine SMS. Sie wollte sie jetzt nicht bei der wichtigen Arbeit stören und erst selbst verdauen, was die neuen Daten bedeuteten. ViCTOR hatte zwei Fälle gefunden, deren Modus mit dem der drei Lemfelder Morde vergleichbar zu sein schien. Auch hier waren die Opfer bestialisch zerfleischt worden. Auch hier gab es in Blut geschriebene Zeichen als Signatur. Auch hier waren die Frauen zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahren alt gewesen.
Es gab nur einen Unterschied. Die zwei Morde hatten sich nicht in Lemfeld ereignet. Nicht einmal in Deutschland. Sie waren an der Elfenbeinküste geschehen. Und das gab dem Hinweis über eine afrikanische Geheimsprache eine gewisse Relevanz. Alex war gespannt, was genau in dem Schreiben aus Zürich stehen würde.
50.
D er Wagen hielt an einer Tankstelle. Stand abseits im Dunkel, wo man Luft auffüllte und Staubsauger benutzen konnte. Der Mann betrachtete das Display seines Smartphones. Es lag neben ihm auf dem Beifahrersitz. Er sah eine Straßenkarte und darauf einen roten Pfeil. Der Pfeil näherte sich unaufhaltsam seinem Standort. Er wischte sich die feuchten Hände an der Hose ab und überlegte, ob er zu weit ging. Ob die Sache nicht zu riskant sei. Aber er konnte nicht widerstehen. Der Reiz war zu groß. Weckte seine Lebensgeister und schärfte seine Sinne.
Unter der Stoßstange von Alexandras Wagen klemmte ein GPS-Sender. Der Mann hatte ihn dort vor ein paar Tagen befestigt. Der rote Pfeil symbolisierte ihren Standort. Einen ähnlichen Sender gab es auch an Jennys Wagen, dem er heute eine Zeitlang gefolgt war. Was Alex betraf, war sie nach Düsseldorf zum Landeskriminalamt gefahren und kam nun wieder nach Hause zurück. Es war spannend, sich vorzustellen, aus welchen Gründen sie beim LKA gewesen war. Dem Mann fiel dazu so einiges ein. Und alles drehte sich um ihn selbst.
Der Pfeil näherte sich weiter. Nur noch fünfhundert Meter. Der Mann ließ den Motor an, schaltete das Licht ein und setzte aus der Haltebucht zurück. Er würde Alexandra eine Weile folgen. Wie Jenny. Einfach so, aus Spaß. Um sich vorzustellen, dass sie in den Rückspiegel sah, ohne zu erkennen und zu begreifen, wer sich hinter ihr befand. Um den Nervenkitzel noch etwas zu erhöhen, hatte der Mann sogar sein Autokennzeichen ausgetauscht.
Er schloss die Augen und gab vor lauter Vorfreude ein Jauchzen von sich. Er überlegte, dass man es drehen und wenden konnte, wie man wollte: Es war einfach etwas ganz anderes, als wenn Alexandra ihm persönlich gegenüberstand. Auch das war natürlich betörend. Geradezu schwindelerregend. Dennoch machte es einen Unterschied, unerkannt auf ihrer Fährte zu sein. Im Verborgenen wie der Jäger, der seiner Beute nachstellte. Es war unerreichbar.
Endlich näherten sich zwei Lichter. Der Mann gab Gas.
51.
M eine Güte, dachte Alex, was für eine Fahrt. Stau bei Wuppertal, Stau am Kamener Kreuz, Baustelle bei Hamm. Dazu Schnee und Eis auf der Autobahn, zwei Unfälle – sie hatte gut und gerne dreieinhalb Stunden für den Rückweg gebraucht und war froh, als sie endlich an der Tankstelle vorbeikam. Sie war eine Wegmarke, die sagte: Nicht mehr weit bis zum Ortseingang von Lemfeld und bis zum Innenstadtring.
Sie schob sich ein Halsbonbon in den Mund und kniff für einen Moment die Augen zusammen, weil
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