Totenmontag: 7. Fall mit Tempe Brennan
ich jetzt nicht gebrauchen.
Claudel kam nicht in Frage.
Mit rasendem Puls wählte ich Charbonneaus Nummer, nur damit jemand wusste, wohin ich gefahren war. Eine mechanische Stimme sagte mir, dass der Teilnehmer im Augenblick nicht zu erreichen sei, und unterbrach die Verbindung, ohne mir die Möglichkeit zu geben, eine Nachricht zu hinterlassen.
Ich sah auf die Uhr.
18 Uhr 42. Ich wählte die CUM-Zentrale und hinterließ eine Nachricht für Charbonneau. Er und Claudel waren vermutlich noch in Vermont, aber wenigstens wüssten sie so, wohin ich gefahren war.
Stille umgab mich.
Noch mehr Was-wenns.
Was, wenn McGee sich etwas antat?
Was, wenn Menard nur trickste, um mich in seine Spaßbude zu locken?
Was, wenn Menard vorhatte, mir eine Kugel in den Schädel zu jagen?
Ich ging eben jedes hässliche Szenario durch, als das Handy in meiner Hand losging.
Ich zuckte zusammen, als hätte es mich verbrannt. Das Gerät flog mir aus der Hand, traf die Wand und schlitterte unter den Schreibtisch. Ich kniete mich hin, kroch über die Fliesen, packte es und schaltete es ein.
Noch ein Schock.
Ohne jede Einleitung setzte Anne zu einer weitschweifigen Entschuldigung an.
Erleichterung und Verärgerung gesellten sich zu dem Chaos in meinem Kopf.
Ich schnitt ihr das Wort ab.
»Wo bist du?«
Anne missverstand das hektische Timbre meiner Stimme.
»Ich kann’s dir nicht verdenken, dass du sauer bist, Tempe. Mein Verhalten war mehr als egoistisch, aber versuche zu versteh …«
Sekunden verstrichen. Sekunden, in denen Tawny McGee sich vielleicht die Pulsadern aufschnitt.
»Wo bist du?« Mit mehr Nachdruck.
»Es tut mir so Leid, Tempe …«
»Wo bist du?«
»Bei den Sisters of Providence.«
Annes Stimme öffnete eine kleine Lücke in meinem Hirn. Klares Denken zwängte sich wieder hinein.
»In dem Kloster an der Ecke Ste. Catherine und Fullum?«
»Ja.«
Anne war weniger als fünf Minuten entfernt.
Anne war eine Frau.
Ich traf eine schnelle Entscheidung.
»Ich brauche deine Hilfe.«
»Was immer du willst.«
»Ich hol dich ab.«
»Wann?«
»Jetzt gleich.«
»Ich warte vor der Tür.«
Halb gehend, halb rennend eilte ich zu meinem Auto, mit einem Herzschlag wie bei einem Marathon.
War es ein Fehler, Anne mit hineinzuziehen? War sie emotional schon zu sehr belastet? Brachte ich sie in Gefahr?
Ich beschloss, Anne alles zu erzählen, und dann sie entscheiden zu lassen.
Schwere Abendkälte hüllte die Stadt ein. Der Wind war feucht, die Wolken tief hängend und träge, als wüssten sie nicht so recht, ob sie es regnen oder schneien lassen sollten.
Anne stand zitternd, das Gepäck in einem Haufen zu ihren Füßen, vor dem alten Mutterhaus.
Noch bevölkerten Nachzügler der Stoßzeit Bürgersteige und Straßen. Das Fahren war schwierig, weil Ampeln und Weihnachtsbeleuchtung Schlieren auf meine Windschutzscheibe warfen. Unterwegs berichtete ich Anne alles, was sich in ihrer Abwesenheit ereignet hatte. Sie hörte zu, ohne mich zu unterbrechen, ihr Gesicht war angespannt, die Finger spielten mit den Enden ihres gelockerten Schals.
Nachdem ich fertig war, verging eine volle Minute. Ich war mir sicher, dass Anne mich bitten würde, sie zu mir nach Haus zu bringen.
»Ich bin die Spitzenkandidatin für den Posten des größten Arschlochs der Welt.«
»So etwas darfst du nicht sagen.«
»Während ich mir den Kopf zerbreche, warum ich nicht den Vorsitz in Gottes Planungsstab bekomme, haben diese Mädchen einen Albtraum durchlebt.« Sie wandte sich mir zu. »Was für ein testosteronbesessener Scheißkerl findet seinen Spaß daran, kleine Mädchen zu quälen?«
»Fühl dich nicht gezwungen, mit mir zu fahren. Ich kann verstehen, wenn du damit nichts zu tun haben willst.«
»Nichts da, meine Kleine. Da will ich dabei sein.«
»Genau das wirst du nicht.« Ich klang wie Ryan. »Hast du dein Handy?«
»Das Scheißding funktionierte plötzlich, nicht mehr, als ich dich heute Vormittag anrufen wollte.« Anne klopfte auf ihre Schultertasche. »Aber ich habe die Chemische Keule.«
Ich deutete auf meine Handtasche. »Such dir meins raus.«
Während ich in die de Sébastopol einbog, tat Anne genau das.
Ich parkte gegenüber dem Pferdestall. Bevor ich die Scheinwerfer ausschaltete, sah ich, wie der Köter sich aufrichtete und mit funkelnden Augen und schnuppernd erhobener Schnauze über den Hof geschlichen kam.
Anne und ich spähten die Straße entlang. Rechts von uns warf eine einzelne Birne einen gelben Lichtkegel
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