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Totenpech

Titel: Totenpech Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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zu tun hatte, nicht reden wolle, nicht, wenn er mit ihr zusammen
war. Seitdem fragte sie nicht mehr, an welchem Fall er gerade arbeitete, obwohl
sie es nur zu gern gewusst hätte. Sie sah die blonde junge Frau an, die mit
Tränen in den Augen vom Tod ihrer Mutter sprach, die sich vor einem Jahr ohne
Vorwarnung vor einen fahrenden Zug geworfen hatte. Wie furchtbar, einen Freitod
zu wählen, dachte Lina, da sie doch wusste, dass Menschen, die Selbstmord
begingen, in einer Zwischenwelt gefangen waren, wo Dunkelheit herrschte.
    Sie hielt den Stift über das weiße Blatt Papier und fragte: »Hallo,
seid ihr da?« Vor jeder Sitzung sprach sie zuerst ein kurzes stilles Gebet und
dann ihre beiden Schutzengel an, um sich zu vergewissern, dass ihr nicht ein
anderer Geist antwortete.
    Der Stift in ihrer Hand malte in jede Ecke ein Kreuz und ein paar
Herzen, dann schrieb sie: Ja, wir sind da.
    Lina machte der jungen Frau, die neben ihr saß, ein Zeichen, dass
sie jetzt ihre Fragen stellen konnte.
    Â»Ist es denn möglich, mit meiner Mutter zu sprechen?«, fragte sie
Lina zaghaft.
    Der Stift in Linas Hand antwortete mit einem großen JA , das ein paarmal umkreist wurde.
    Â»Ich möchte gerne wissen, warum?« Ihre Stimme versagte, und wieder
rannen dicke Tränen die Wangen hinunter.
    Der Stift setzte sich in Bewegung und schrieb, ohne abzusetzen,
Wörter, die Lina laut mitlas, denn sie wusste, dass sie später das Gekritzel
kaum noch entziffern konnte.
    Â»Ich habe mich so einsam gefühlt, ihr alle wart mit euch selbst
beschäftigt, sodass ich keinen Ausweg gesehen habe. Aber jetzt fühle ich mich
noch einsamer. Es ist immer dunkel um mich herum.«
    Die junge Frau schluckte, ließ ihren Tränen weiter freien Lauf und
sagte zu Lina, als müsste sie sich entschuldigen: »Aber ich war doch so oft bei
ihr.«
    Für Lina hatte die Mutter an schweren Depressionen gelitten, die
keiner gesehen hatte oder nicht hatte sehen wollen. Der Stift schrieb weiter,
und wieder las Lina die Worte ab: »Du warst da, ihr wart alle da, aber wirklich
zugehört hat keiner von euch.«
    Der Blick der jungen Frau senkte sich, und sie sagte leise: »Sie hat
recht. Es war einfacher, sich alles schönzureden.«
    Plötzlich spürte Lina eine starke aggressive Macht, die sie schon
auf der Treppe zum Schlafzimmer im dritten Stock der Hamburger Altbauvilla
gefühlt und die ihr beinahe den Atem genommen hatte. Ihr Arm fing an zu zucken,
und der Stift kratzte über das Papier.
    Wir sind immer in der Nähe.
    Die junge Frau, Mutter von zwei Kindern, verheiratet mit einem
Geschäftsmann, der viel auf Reisen war, sah Lina fragend an.
    Â»Hast du oft Streit mit deinem Mann, Eva? Ich meine ungewöhnlich
viel Streit?«
    Â»Ja, warum?«
    Â»Was ist mit deinen Kindern? Irgendetwas, das du als merkwürdig
empfindest?«
    Eva überlegte und sagte dann: »Nein, eigentlich nicht … obwohl, ich
weiß nicht, aber die Kleine wacht fast jede Nacht auf und schreit.«
    Â»Wie alt ist sie?«
    Â»Acht.«
    Lina sah nach oben zu dem Dachfenster, als der Stift in ihrer Hand
plötzlich wieder zu schreiben anfing. Er schrieb in großen Buchstaben HELP . Lina war
plötzlich verwirrt. Sie spürte, dass dieser Hilferuf nichts mit der
eigentlichen Sitzung, nichts mit der Frau neben sich zu tun hatte, die sie
erwartungsvoll ansah. Dann huschte der Stift wieder über das Blatt Papier,
malte Striche, verband sie, kritzelte hier und da etwas hin, was Lina beim besten
Willen nicht entziffern konnte. Am Ende hatte sie einen Raum mit runden
Fenstern gemalt.
    Lina legte den Stift zur Seite und sah Eva an. »Sagt dir das was?«
    Â»Nein. Nichts.«
    Lina verlor für einen Moment den Faden, doch dann fiel es ihr wieder
ein. Das Dachfenster. Es hatte wohl wenig Zweck, der Frau zu erklären, dass es
notwendig war, das Fenster abzudecken, deshalb sagte sie lediglich: »Zeig mir
mal das Kinderzimmer.«
    Die beiden Frauen gingen die steile Treppe wieder hinunter zu den
zwei Kinderzimmern im zweiten Stock.
    Im Zimmer der älteren Tochter konnte Lina keine fremde Präsenz
feststellen, und so gingen sie zu dem anderen. Als Lina das Zimmer der kleinen
Tochter betrat, spürte sie schon vor der Tür die Eiseskälte, die dort trotz der
warmen Heizung herrschte. Eine Gänsehaut überzog ihren Körper.
    Lina wusste, dass Geister sich immer das schwächste Glied

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