Totenpech
stellen würde. Ich musste noch eine Akte aus der
Wohnung holen, die ich einem Kollegen vorbeibringen wollte. Und warum hat sie
nicht im Auto gewartet? Hm, weil sie auf die Toilette musste. Ja, das war
glaubwürdig.
Sam hatte bei dem Gedankenmarathon angefangen zu schwitzen. Er war
gut in seinem Metier, manche sagten, er war einer der Besten. Wäre doch
gelacht, wenn er sich seinen eigenen Fall nicht konstruieren könnte. Die Frage
war nur, wo war Lina jetzt? Immerhin war sie in München. Sie kannte niemanden
hier. Stand sie vielleicht unten vor dem Haus? Dann hätte sie Nina aus der Tür
kommen sehen. Allein. Und würde sich an einer Hand ausrechnen können, dass sie
nicht vier Stunden Maumau gespielt hatten. »Ãberlass ihr das Reden, und erzähle
nicht zu viele Details, Sam, das wirkt nur unglaubwürdig«, ermahnte er sich
laut. Dann ging er durch die Wohnung, beseitigte alle sichtbaren Spuren des
Tathergangs, zwei schmutzige Gläser, zu viele benutzte Handtücher, Scherben von
Geschirr auf dem Küchenboden, das er vom Tisch gefegt hatte, um Nina darauf zu
vögeln. SchlieÃlich stellte er sich unter die Dusche, um sich zu säubern, und
legte sich ins Bett. Vergeblich wartete er mal wieder darauf, dass ihm die
Augen zufielen.
24. KAPITEL
Essen   Aethel
hatte sich in Amsterdam in einen ICE gesetzt und war von dort aus weiter nach Essen
gefahren.
Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, als sie schlieÃlich zwischen
den Bäumen stand und mit einem Fernglas ihr Objekt beobachtete. Auf dem Anwesen
stand ein modernes groÃes Rotklinkerhaus mit weià abgesetzten Fenstern und
einem roten Ziegeldach.
Zu neuzeitlich für Aethels Geschmack, die alles aus alter Zeit
liebte, weil es auch immer etwas Geheimnisvolles in sich barg und eine
Geschichte hatte. Aethels Sinn für Mysteriöses war schon als Achtjährige sehr
ausgeprägt. Nachts, wenn alle schliefen, war sie durch das Schloss ihrer Eltern
geschlichen, auf der Suche nach Schätzen und Geheimgängen. Das Hobby weitete
sie auf die angrenzende Nachbarschaft, Verwandte und Bekannte aus, indem sie
sich am Tag in deren Häusern versteckte, ungesehen das Privatleben und das
Inventar der Bewohner ausspionierte und gelegentlich kleinere Antiquitäten
mitgehen lieÃ. So hatte sich im Laufe der Zeit einiges angesammelt. Auf ihren
Reisen hatte sie das eine oder andere von ihren einstigen Besitzern längst
vergessene Stück unter der Hand oder an Antiquitätenhändler verkauft.
Aus dem Hobby war eine Leidenschaft und schlieÃlich ein Beruf
geworden, der nicht nur spannend, sondern auch äuÃerst einträglich war, wie sie
fand.
Aethel würde eine Legende werden, und in fünfzig Jahren würde man
über ihre Geschichte einen Film drehen, genauso wie über Doris Payne, die
Juwelendiebin, oder die anderen Gauner, die spektakuläre Einbrüche gemacht hatten.
Aethel war inzwischen mit ihrer dunklen Umgebung eins geworden und
bewegte sich ungesehen zwischen den hohen Büschen und Bäumen um das Grundstück
herum.
Mit dem Einsetzen der Dunkelheit waren zuerst die AuÃenbeleuchtung
und anschlieÃend das Licht im Haus angegangen, aber sie konnte keine Bewegungen
im Inneren ausmachen. Man hatte ihr gesagt, dass die Besitzer nicht da seien,
und deshalb vermutete sie, dass entweder eine Bedienstete das Licht
angeschaltet hatte oder eine dieser Zeituhren, die das Licht immer zur gleichen
Zeit aktivierten und AuÃenstehenden vorgaukeln sollten, dass das Haus bewohnt
war. Ein alter Trick, den inzwischen jeder Dieb kannte. Obwohl sie jetzt etwas
vorsichtiger sein würde, schlieÃlich hatte der Hausherr das letzte Mal auch
nicht im Hause sein sollen. Und was war das Ergebnis gewesen? Sie hatte einen
Menschen auf dem Gewissen. Einen Mord begangen! Das durfte sich nicht
wiederholen.
In geduckter Haltung drang sie zu der kleinen Terrasse aus
Terrakottafliesen vor, die in keinem Verhältnis zu dem groÃen Grundstück stand.
Sie wagte einen Blick ins Innere durch die vorhangfreien Fenster, atmete tief
durch und spitzte die Ohren, ob sie irgendein menschenähnliches Geräusch von
irgendwoher vernehmen konnte. Nichts. Alles war ruhig.
Die Fenster waren mit der üblichen Alarmanlage verdrahtet, die mit
der Polizei kurzgeschaltet war.
Um auf Nummer sicher zu gehen, schlich Aethel noch einmal ums Haus
herum zum Eingang und drückte auf den Klingelknopf. Sie wartete
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