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Totenpech

Titel: Totenpech Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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sein.
    Während er sich einen neuen Lebenslauf zurechtlegte, schweiften
seine Gedanken immer wieder zu Lina ab. Er hatte sie noch nie so kühl erlebt
wie gestern Abend. Die Spitze eines Eisbergs wäre dagegen kuschelig gewesen. Er
fragte sich immer noch, ob sie die Ansätze seiner Lügen durchschaut hatte, weil
sie ihn so gut kannte, sich auf ihre weibliche Intuition verlassen hatte, oder
ob ihre Geister da nachgeholfen hatten? Vielleicht könnte sie sich ja mal mit
dem toten Lothar Senner unterhalten, um ihm das Geheimnis der spurlos
verschwundenen Menschen zu entlocken. Sam schüttelte den Kopf über die Welt, in
der Lina lebte und zu der er keinen Zugang fand. Trotzdem wirkte sie in keiner
Weise abgehoben oder eigenartig. Wer nicht wusste, dass sie sich mit Engeln,
Geistern und Toten unterhielt, würde sie als vollkommen normal einstufen.
    Genau fünf Stunden später fuhr Sam die Seestraße am Zürichsee
entlang bis Goldbach. Von dort steuerte er, der Stimme des GPS folgend, quer
durch die Kleinstadt, bis er in einen angrenzenden Wald kam. Auf einem breiten
Waldweg fuhr er noch zweihundert Meter weiter, dann links auf eine kleine
Brücke zu, und schließlich hatte er das Tor zur Einfahrt auf den Schlosshof vor
sich. Das Schloss aus dem 14. Jahrhundert war ziemlich beeindruckend, noch
beeindruckender waren allerdings die Wagen, die auf dem großen Schlosshof
parkten. Hier standen gut ein paar Millionen Euro herum, schätzte Sam. Er
parkte den Porsche neben einem Rolls-Royce und stellte den Motor ab. Eine wohltuende
Stille umgab ihn, die er für einen Moment mit geschlossenen Augen in sich
aufnahm. Dann stieg er aus, zupfte einen Fussel von seinem dunkelblauen
Armani-Anzug, in dem er aussah wie ein Dressman, und ging der Beschilderung
nach, die man für die Gäste angebracht hatte.
    Das Schloss schien unbewohnt und teilweise sehr
renovierungsbedürftig zu sein. Ein Blick in den ehemaligen Rittersaal ließ Sam
an seine Kindheit denken. Eine unvergessliche Reise an den Rhein, als seine
Tante mit ihm Burgen und Schlösser besichtigte, die es in Amerika nicht gab.
Sein Vater hatte anschließend eine Burg aus Holz gebaut, sie angemalt, die
Dächer mit Strohhalmen beklebt und kleine Ritter dazu gekauft. Es war sein
schönstes Geburtstagsgeschenk gewesen.
    Â»Findet die Versteigerung hier drin statt?«
    Ein älterer grauhaariger Herr war hinter Sam getreten und holte ihn
aus seinen Erinnerungen.
    Â»Sieht nicht so aus«, sagte Sam. Irgendwie fühlte er sich ertappt.
    Der Mann sagte ein paar unverständliche Worte und ging den kaum
beleuchteten langen Gang weiter. Sam folgte ihm.
    Vor der Tür, die zum Gartensaal führte, standen zwei Männer mit
Kopfhörern im Ohr und einer Liste in der Hand. Der Mann vor ihm sagte eine
Nummer und wurde durchgelassen. Dann sah der Türsteher ihn fragend an. Sam zog
den Zettel aus der Tasche, den ihm der Museumsdirektor gegeben hatte. Dort
stand nur eine Zahl drauf, die Hausnummer des Schlosses? Hatten Schlösser
überhaupt Hausnummern? Oder war das ein Code? Sam sagte: »498.« Der Türsteher
sah auf seine Liste und machte Sam ein Zeichen, dass er durchgehen konnte.
    Der Gartensaal war ein großer Raum mit aufwendig verlegtem
Parkettboden, deckenhohen Ölgemälden und geschnitzten doppelflügeligen Türen,
in dem an die einhundertfünfzig Leute auf den Beginn der Versteigerung warteten.
Sam sichtete in der Mitte der etwa fünfzehn Stuhlreihen einen freien Platz und
setzte sich unter den taxierenden Blicken einiger wohlbetuchter Damen hin.
    Â»Es freut mich, dass Sie so zahlreich erschienen sind.« Ein
dicklicher kleiner Mann in einem schwarzen Anzug war auf einem Podium
erschienen. Neben ihm stand ein Overheadprojektor, der das erste Bild auf eine
Leinwand warf.
    Da die Aufmerksamkeit aller auf den Mann gerichtet war, nutzte Sam
die Gelegenheit und sah sich ein wenig um. Zu seiner Rechten saß eine zierliche
kleine Frau um die sechzig. Sie verströmte den angenehmen Duft eines teuren Parfums
und reckte ihren Hals, um überhaupt etwas sehen zu können. Zu seiner Linken saß
ebenfalls eine Frau, etwas korpulenter, und hörte aufmerksam zu.
    Â»Hier haben wir eine Figur aus Ebenholz, Höhe vierzig Zentimeter,
wahrscheinlich 25. Dynastie. Für nur zwanzigtausend Euro.«
    Eine Hand in der vorderen Reihe schnellte nach oben, danach folgten
andere, und der Mann war in

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