Totenpech
alten Bräuchen bearbeitet worden war. Die Organe waren entfernt
worden, bis auf das Herz. Die Nasenscheidewand war beschädigt und das Gehirn komplett
durch die kleine Ãffnung entfernt worden. Interessant war die Tatsache, dass im
ersten Zehgelenk operativ ein Nagel eingesetzt worden war.
Sam bedankte sich bei dem Arzt, dass er sich die Zeit für ihn
genommen hatte, und ging zu seinem Wagen. Auf dem Beifahrersitz lagen die Akte
von Frau Winterfeld und die Liste, die der Computer ausgespuckt hatte. Nach
Ausschluss von Männern, Kindern und älteren Personen kamen nur zwei vermisste
Personen auf der Liste in Frage: eine junge Frau, die vor acht Jahren nach
einer Party spurlos verschwunden war, und die Schwester von Sybille Winterfeld,
bei der sich die Spur in der Medina von Fes verlor.
43. KAPITEL
Chester   Kaum war
Aethel zu Hause in Chester angekommen, hatte ihre Mutter ihr freudestrahlend
und mit einem zweideutigen Blick eine Nachricht von Lord Richmond überreicht.
Aethel wusste, dass ihre Mutter sich nichts sehnlicher wünschte, als
dass sie bald heiraten und ihr Enkelkinder schenken würde. Ein Zeichen dafür,
dass sie ihr eigenes Kind genauso wenig kannte wie einen Nachbarn, der tausend
Kilometer entfernt hinter der Grenze in Schottland wohnte.
Ihre Mutter, Rose Meyer, Tochter eines der einst weltweit einflussreichsten
Kunsthändler Englands, war für ein paar Gemälde von Antoine Jean Gros mit ihrem
Vater verheiratet worden.
Antoine Jean Gros hatte Napoléon Bonaparte gemalt, der wie ihr
GroÃvater, nur hundert Jahre zuvor, ein Bewunderer der altägyptischen Kultur
gewesen war und der zum Zeitpunkt seines Feldzugs Hunderte von Wissenschaftlern
beschäftigt hatte, um sämtliche Altertümer in Ãgypten zu zeichnen und zu
katalogisieren. Ihr GroÃvater war stolzer Besitzer der neun Quartbände und elf
Bildbände gewesen, die zwischen 1809 und 1828 erschienen waren
und eine wahre Ãgyptomanie in Frankreich ausgelöst hatten. Jetzt standen sie
alle unten in der Bibliothek und verstaubten.
Ihre Mutter war sozusagen für Bilder verschachert worden. In Arabien
wären es Kamele gewesen, wie Aethel es immer gern auf den Punkt brachte.
Es war keine Heirat aus Liebe gewesen, und die Liebe hatte sich im
Laufe der Zeit auch nicht entwickelt, weshalb ihr Vater eine Geliebte neben
seiner Ehe hatte, die ihre beschränkte Mutter mit gütigem Lächeln akzeptierte.
Ergeben fügte sie sich in ihr Schicksal. Für Aethel eine geradezu unmögliche
Vorstellung, und so stand für sie schon früh fest, dass sie auf keinen Fall als
Deal gehandelt werden wollte.
Aethel ging unter dem Blick ihrer Mutter durch die Eingangshalle zur
Treppe, die zu ihrem Turmzimmer führte, und erst als sie die Tür hinter sich
geschlossen hatte, riss sie den Umschlag auf.
Beim Lesen durchfuhr Aethel zuerst eine heiÃkalte Welle, dann setzte
sie sich aufs Bett, atmete tief durch, bis ihre Gesichtshaut wieder eine
normale Temperatur erreicht hatte. Sie schaltete sämtliche Gefühle aus. Emotionen
waren in so einer Situation unangebracht. Keiner kannte Aethel wirklich, keiner
ahnte, wie durchtrieben und eiskalt sie sein konnte, wenn man sich in ihr Leben
einmischte und versuchte, ihre Pläne zunichtezumachen. In ihren Lebensplan
passte bestimmt keine Anwaltskanzlei, in der sie sich tagaus, tagein mit
irgendwelchen Banalitäten anderer Leute abplagte, und schon gar nicht ein Lord
Richmond, der durch eine Ehe mit ihr garantiert den einen oder anderen Vorteil
genieÃen würde, weil ihr Vater Richter war. Nur was würde im Gegenzug ihre
Familie dafür erhalten? Was hatten ihre Eltern davon? Vielleicht aber sollte
sie lieber fragen, was ihr Vater davon hatte?
Aethel kaute sich die Haut um die Nägel ab und dachte angestrengt
nach. Es gab für alles einen Grund, genauso hatte sie das bestimmte Gefühl,
dass hinter dem Diebstahl der Nofretete-Büste mehr steckte als nur die
Begierde, dieses kostbare Objekt zu besitzen.
Nachdem sie in Palma das Café verlassen hatte, wollte sie eigentlich
mit einem Taxi zum Flughafen fahren, doch die Neugierde war gröÃer gewesen, und
so hatte sie gewartet, bis der Mann, dem sie am Abend zuvor die Büste
ausgehändigt hatte, mit der kleinen Stöckelschuhhure den Champagner
ausgetrunken hatte und mit seinem roten Alfa Richtung Binissalem ins
Landesinnere der Insel gefahren war. Aethel war den beiden in
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