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Totenpech

Titel: Totenpech Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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einen geeigneten Beobachtungsposten zwischen den Klippen zu finden.
Es war ein waghalsiges Unterfangen, sich im Dunkeln in dem unbekannten Gebiet
zurechtzufinden. Das hielt Aethel jedoch nicht davon ab, sich von Fels zu Fels
zu hangeln. Sie musste sich darauf verlassen, dass sie instinktiv nach der
richtigen Felskante griff. Manche davon waren so spitz, dass sie sich wie Dornen
in ihre Hände bohrten, manche derart glatt, dass sie abzurutschen drohte.
Aethel biss die Zähne zusammen und kletterte weiter. Sie hatte nur das eine
Ziel vor Augen: die Büste der Nofretete wieder in ihren Besitz zu bringen. Das
Meer lag tiefschwarz unter ihr, und nur die stete geräuschvolle Bewegung, das
Klatschen der Wellen an die Felsen, machte ihr seine Präsenz deutlich. Nicht
gerechnet hatte sie damit, dass sich die Dunkelheit wie ein schwarzer Vorhang
über die Felsen legte. Nach einer halben Stunde konnte sie kaum noch etwas
sehen, tastete sich wie eine Blinde langsam voran.
    Was würde passieren, wenn sie den Halt verlieren und ins Meer
stürzen würde? Ein Kribbeln durchfuhr sie bei dem Gedanken, dass niemand
wusste, wo sie war. Ihr Verschwinden würde ihren Eltern ein ewiges Rätsel
bleiben. Doch der zweite Gedanke ging an Lord Richmond. Er hatte sie in letzter
Zeit beobachten lassen, wusste über jeden ihrer Schritte Bescheid. Sie fragte
sich, ob das dieses Mal auch der Fall war. War ihr jemand gefolgt und
beobachtete sie gerade bei ihrer halsbrecherischen Unternehmung? Sie hatte kaum
zu Ende gedacht, als ihr rechter Fuß plötzlich keinen Vorsprung fand und der
linke abrutschte. Für einen Moment hing sie in der Luft. Ihre Finger krallten
sich in den Fels. Plötzlich kam etwas Schwarzes auf sie zugeflogen. Aethel
zuckte zusammen. Sie verlor den Halt und fiel. Noch einmal versuchte sie sich
irgendwo festzuhalten, fand aber keine Möglichkeit mehr. Spitze Felsvorsprünge
schnitten ihr in die Hände, ihr Körper schoss unaufhaltsam über die Klippen in
die Tiefe. Sie stürzte ab. Ins Meer. Kälte umschloss sie. Aethel blieb die Luft
weg. Sie wusste nicht mehr, wo oben und wo unten war. Sie drehte sich im
Wasser, versuchte, etwas zu erkennen, aber alles war schwarz um sie herum. Das
dunkle schwarze Meer, eines der wenigen Dinge, vor dem Aethel wirklich Angst
hatte. Ihr Rucksack zog sie nach unten. Ihre Kräfte schwanden, die Lungen
schienen zu bersten. Verzweifelt strampelte sie mit den Beinen. Dann stieß sie
gegen etwas Hartes. Sie war direkt an den Felsen, dachte sie und ließ sich nach
oben treiben. Ihr Kopf tauchte in der Brandung auf. Aethel schnappte nach Luft,
bevor sie wieder mit voller Wucht gegen die Felsen geschleudert wurde und
literweise Wasser schluckte. Sie streckte ihren Hals nach oben, würgte und
atmete wieder durch. Ihre Verzweiflung wuchs. Jetzt war der Gedanke zu sterben
ganz nah. Die nächste Welle traf sie und trug sie nach oben. Aethel drehte
sich, versuchte sich an irgendetwas festzuhalten. Endlich fand sie Halt an
einem großen, mit Algen bewachsenen Felsvorsprung, der sich wie ein weicher
Pelz anfühlte. Das Meer gönnte ihr eine Pause. Die nutzte sie, um sich aus dem
Wasser zu ziehen.
    Mit letzter Kraft schaffte sie es auf eine kleine Plattform.
Keuchend blieb sie liegen.
    Als sich ihr Atem wieder beruhigt hatte, öffnete sie langsam die
Augen. Ein normaler Mensch hätte in diesem Moment das Unternehmen abgebrochen,
nicht jedoch Aethel. Sie stand kurz vor dem Ziel, und sie hatte nur eins im
Sinn: die Statue der Nofretete wieder in ihren Besitz zu bringen.
    Ohne auf ihre Blessuren zu achten, kletterte sie erneut, aber sehr
vorsichtig nach oben, bis sie etwa auf gleicher Höhe mit dem Haus war. Dann
holte sie aus ihrem klatschnassen Rucksack ihr Fernglas heraus und besah sich
das puristische Interieur des Glaskastens. Halogenlampen, viele weiße Möbel und
eben viel Glas, was sie wieder grübeln ließ, was der Mann nur mit der alten
Büste wollte. Ein Fan von Antiquitäten schien er jedenfalls nicht zu sein.
    Aethel fing an zu frieren. Sie überlegte, ob sie noch heute an das
Objekt der Begierde gelangen würde oder ob sie warten musste. Von hier aus war
keine Bewegung im Haus auszumachen, aber es brannte Licht. Vermutlich war auch
jemand zu Hause. Sie verließ den schützenden Felsvorsprung und bewegte sich
langsam wie ein Faultier von Fels zu Fels, bis sie sich schließlich über die
Balustrade der Terrasse

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