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Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
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immer noch eher gerahmte Ahnenporträts an den Wänden vor als Plakate, die dazu mahnen, das Auto immer sorgfältig abzuschließen und nicht zu schnell zu fahren. Ruths Begleiter, ein wortkarger Polizist in Uniform, führt sie durch eine Privattür gleich neben dem Empfangstisch, und Ruth malt sich aus, dass die Menschen, die dort schicksalsergeben warten, sich jetzt vermutlich fragen, wer sie wohl ist und womit sie eine solche Sonderbehandlung verdient hat. Sie gehen eine eigentlich sehr schöne Freitreppe hinauf, die allerdings vom typischen Büroauslegeteppich verschandelt wird, und treten durch eine Tür mit der Aufschrift «Kriminalpolizei».
    Harry Nelson sitzt an einem abgenutzten Resopalschreibtisch, auf dem sich die Unterlagen nur so türmen. Das Zimmer muss früher einmal viel größer gewesen sein: Man sieht genau, wo die neueingezogene Gipswand an die Deckenwölbung anschließt. Jetzt ist ein ungemütliches Kabäuschen daraus geworden, höher als breit, mit einem übergroßen Fenster hinter einer kaputten weißen Jalousie. Nelson allerdings erweckt nicht den Eindruck, als würden ihn solche ästhetischen Fragen groß kümmern.
    Als sie hereinkommt, steht er vom Schreibtisch auf. «Hallo, Ruth. Schön, dass Sie kommen konnten.»
    Ruth kann sich nicht entsinnen, ihm erlaubt zu haben,sie beim Vornamen zu nennen, doch jetzt scheint es bereits zu spät, noch etwas dagegen zu unternehmen. Sie kann ihn ja schlecht auffordern, wieder «Doktor Galloway» zu sagen.
    «Kaffee?», fragt Nelson.
    «Ja, gerne. Schwarz, bitte.» Der Kaffee ist zwar mit Sicherheit ungenießbar, doch es wäre unhöflich, das Angebot abzulehnen. Außerdem weiß sie dann wenigstens, was sie mit ihren Händen machen soll.
    «Zweimal Kaffee schwarz, Richards», blafft Nelson den wartenden Polizisten an. Mit dem Wort «bitte» hat er offenbar genauso wenig Erfahrung wie mit dem Wort «danke».
    Ruth nimmt auf dem schäbigen Plastikstuhl vor dem Schreibtisch Platz. Auch Nelson setzt sich wieder und beschränkt sich für die nächsten Augenblicke darauf, sie einfach nur stirnrunzelnd zu mustern. Ruth wird unbehaglich zumute. Er kann sie doch unmöglich nur zum Kaffeetrinken herbestellt haben. Ob dieses Schweigen Teil seiner Strategie ist, um Verdächtige einzuschüchtern?
    Der Polizist kommt mit dem Kaffee herein. Ruth dankt ihm überschwänglich und beäugt dann beklommen die dünne Brühe mit dem eigentümlich öligen Film darauf. Nelson wartet, bis die Tür sich wieder geschlossen hat, dann sagt er: «Sie fragen sich bestimmt, warum ich Sie hergebeten habe.»
    «Ja», erwidert Ruth schlicht. Sie nimmt einen Schluck Kaffee. Er schmeckt noch scheußlicher, als er aussieht.
    Nelson schiebt ihr eine Akte hin. «Es ist noch ein kleines Mädchen verschwunden», sagt er. «Das haben Sie ja sicher in der Zeitung gelesen.»
    Ruth schweigt. Sie liest keine Zeitung.
    Nelson mustert sie scharf, ehe er weiterredet, und Ruth findet, dass er müde wirkt. Er hat dunkle Ringe unter den Augen und ist unrasiert. Im Grunde sieht er mehr aus wieein Schwerverbrecher auf einem Fahndungsfoto als wie ein Polizist.
    «Wir haben einen Brief bekommen», fährt er fort. «Ich habe Ihnen doch von den Briefen erzählt, die nach Lucy Downeys Verschwinden gekommen sind, wissen Sie noch? Der hier scheint vom selben Absender zu stammen. Vielleicht versucht auch jemand, mir weiszumachen, dass er vom selben Absender ist, was allerdings noch merkwürdiger wäre.»
    «Glauben Sie, der Absender ist der Mörder?»
    Nelson zögert lange, ehe er antwortet, und blickt dabei düster und stirnrunzelnd in seine Kaffeetasse. «Solche Vermutungen sind immer gefährlich», sagt er schließlich. «Denken Sie nur an Jack the Ripper, da war es genauso. Die Polizei war überzeugt, dass die anonymen Briefe vom Mörder stammten, und ermittelte in die völlig falsche Richtung. Am Ende war es dann doch nur irgendein Spinner. Das kann hier auch so sein. Ist sogar ziemlich wahrscheinlich.» Er hält kurz inne. «Es ist nur   … Irgendwie besteht ja immer die Möglichkeit, dass es trotzdem der Mörder war, und dann enthalten die Briefe vielleicht wertvolle Hinweise. Mir ist wieder eingefallen, was Sie mir nach dem Knochenfund erzählt haben, über Rituale und so weiter. Solcher Kram steht auch in den Briefen. Deshalb dachte ich, Sie könnten vielleicht mal einen Blick drauf werfen und mir sagen, was Sie davon halten.»
    Ruth hat mit allem Möglichen gerechnet, aber damit ganz sicher nicht. Zögernd

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