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Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
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sich, als hätte er eine Kirche betreten. Er bleibt reglos und mit geschlossenen Augen stehen und berührt dann den Boden.
    «Heiliger Boden», sagt er.
    «Das hätte Cathbad auch gesagt.»
    «Cathbad! Hast du Kontakt zu ihm aufgenommen?»
    «Ja   … Erik?»
    «Was denn?»
    «Warum hast du mir nicht erzählt, dass du Cathbad schon lange kennst, dass er bei dir studiert hat?»
    Erik schweigt einen Moment und mustert sie. Sie kann den kühlen Blick seiner blauen Augen nicht recht deuten. Ist er schuldbewusst? Belustigt? Verärgert?
    «Ist das denn wichtig?»
    «Natürlich ist es wichtig!», braust Ruth auf. «Immerhin ist er der Verdächtige in einem Mordfall.»
    «Tatsächlich?»
    Sie zögert. Sie weiß, dass Nelson Cathbad suspekt findet und ihm misstraut, aber macht ihn das gleich zum Mordverdächtigen? Vermutlich schon. Schließlich sagt sie: «Ich weiß es nicht genau. Zumindest glaubt die Polizei, dass er etwas zu verbergen hat.»
    «Die Polizei! Als ob die eine Ahnung hätten! Barbaren und Lumpenpack. Weißt du noch, wie sie versucht haben, die Demonstranten von der Ausgrabungsstätte zu entfernen? Diese unnötige Gewalt!»
    «Ja.» Die Polizisten hatten sich beim Abtransport der Demonstranten nicht gerade zimperlich gezeigt, und Erik und die anderen Archäologen waren entsetzt gewesen. Sie hatten Beschwerde eingereicht, die von der Polizei jedoch standhaft ignoriert worden war.
    «Hast du Cathbad dazu angestiftet?», fragt Ruth. «Zu den Protesten?»
    Erik lächelt. «Nein, die Heiden vor Ort sind ganz freiwillig in den Kampf gezogen. Hier in Norfolk gibt es viele Anhänger des Paganismus, wusstest du das? Ich habe ihn allenfalls etwas darin bestärkt.»
    «Hast du ihm auch die Stelle an der Uni vermittelt?»
    «Ich habe ihm eine Empfehlung geschrieben.»
    «Warum hast du mir nicht erzählt, dass er dort arbeitet?»
    «Weil du nicht gefragt hast.»
    Ruth dreht sich um und stürmt über den nassen Sand davon. Erik holt sie ein und legt den Arm um sie.
    «Nicht böse sein, Ruth. Habe ich dir nicht immer schon gesagt, dass die Fragen das Entscheidende sind, nicht die Antworten?»
    Ruth schaut in Eriks vertrautes, wettergegerbtes Gesicht. Er ist älter geworden, hat mehr graue Haare, mehr Fältchen um die Augen, aber er ist doch immer noch derselbe. Jetzt lächelt er, und seine blauen Augen funkeln. Widerstrebend erwidert sie sein Lächeln.
    «Na komm», sagt er. «Lass uns mal sehen, ob wir deinen Dammweg finden.»
    Sie machen sich wieder auf den Weg und wandern durch die Dünen landeinwärts. Ein Wattvogelpaar sucht nach Futter. Ruth denkt an David und an den Vergleich des Salzmoors mit einer Autobahnraststätte. Die Vögel sehen kurz auf, als sie vorbeigehen, und setzen dann ihr eifriges Scharren fort. In der Ferne steht ein Reiher kontemplativ auf einem Bein und blickt zu ihnen herüber.
    Ruth hat Davids Karte mitgebracht, auf der die versunkenen Pfähle eingezeichnet sind. Sie faltet sie wortlos auseinander und reicht sie Erik, der sie mit einem zufriedenen Zischlaut entgegennimmt. «So, so   … da haben wir es also.» Eine Zeitlang vertieft er sich schweigend in die Karte, und Ruth beobachtet ihn bewundernd. Keiner kann Karten oder Landschaften so gut lesen wie Erik. Hügel und Flüsse und Dörfer sind Wegweiser für ihn, die direkt in die Vergangenheit führen. Einmal, als sie ihr Promotionsstudium gerade begonnen hatte, hat er sie gefragt: «Stell dirvor, du müsstest einen Lageplan deines Wohnzimmers für künftige Archäologen erstellen. Was wäre dabei das Wichtigste?»
    «Ähm   … eine komplette Liste sämtlicher Gegenstände?»
    Erik lachte. «Nein, nein. Inventarlisten sind schön und gut und erfüllen ihren Zweck, aber sie zeigen uns nicht, wie die Menschen tatsächlich gelebt haben, was ihnen wichtig war, was sie anbeteten. Nein, das Entscheidende ist die Ausrichtung. Die Ausrichtung deiner Sessel beispielsweise. Sie zeigt den Archäologen der Zukunft, dass der wichtigste Gegenstand im menschlichen Heim des einundzwanzigsten Jahrhunderts ein großer, grauer Kasten in der Wohnzimmerecke war.»
    Jetzt schaut Erik von der Karte auf, schnuppert kurz in die Luft und lächelt. «Ich glaube, wir müssen da lang.» Sie machen sich zügig auf den Weg, den Wind, der das stachlige Gras flach zu Boden drückt, jetzt im Rücken. Sie gehen am Röhricht vorbei, dessen flaches Wasser dunkel und geheimnisvoll glitzert. Von oben ertönt der heisere, zornige Ruf eines Vogels.
    «Da.» Erik bleibt stehen und

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