Totenpfad
früher.»
Nach ein paar Minuten drehen sie sich um und machen sich auf den Weg zurück zum Haus.
Auf halbem Weg fängt es an zu regnen, fast waagerechte Tropfen, die sich wie Nadelstiche im Gesicht anfühlen. Ruth stapft mit gesenktem Kopf dahin, und erst als sie den Unterstand vor sich sieht, merkt sie, dass sie sich zu weit rechts gehalten haben, zu weit nördlich. An diesem Unterstand war sie noch nie, obwohl sie ihn von der Karte kennt. Er steht auf einer Kiesbank, ganz nah an der Gezeitenmarke. Man muss schon ein äußerst passionierter Vogelfreund sein, denkt Ruth, um sich so weit aufs Moor hinauszuwagen.
«Ruth!»
Halb blind vom Regen schaut Ruth auf und sieht David vor dem Unterstand stehen. Er hat eine Plastiktüte in der Hand, die offensichtlich Abfall enthält. Sie denkt daran,wie Nelson an dem Tag, als sie sich kennengelernt haben, seinen Mitarbeiter anherrschte, den Müll vor dem anderen Unterstand einzusammeln.
«Hallo», sagt Ruth. «Sind Sie beim Aufräumen?»
«Ja.» Davids Miene verfinstert sich. «Die Leute lernen es nie. Überall stehen Schilder, und trotzdem lassen sie ihren Müll herumliegen.»
Ruth nickt verständnisvoll und stellt dann Peter vor, der einen Schritt näher kommt, um David die Hand zu geben.
«David ist der Vogelschutzwart», erklärt sie, sagt aber nichts darüber, wer Peter ist.
«Das ist sicher eine sehr spannende Aufgabe», sagt Peter.
«O ja», erwidert David unvermittelt lebhaft. «Das ist hier ein wahres Vogelparadies, vor allem im Winter.»
«Ich war vor Jahren mal bei einer Ausgrabung hier», sagt Peter, «und seither kriege ich den Ort nicht mehr aus dem Kopf. Es ist so einsam hier und so friedlich.»
David schaut neugierig zwischen Ruth und Peter hin und her, dann sagt er: «Ich habe einen Streifenwagen vor Ihrem Haus gesehen, Ruth.»
«Ja.» Ruth seufzt. «Ich hatte Ihnen ja erzählt, dass ich die Polizei bei ihren Ermittlungen wissenschaftlich unterstütze.»
«Ruths Katze wurde getötet», wirft Peter zu Ruths Missfallen ein. «Die Polizei hält das für wichtig.»
Jetzt blickt David ehrlich entsetzt drein. «Ihre Katze? Getötet? Wie das denn?»
Ruth wirft Peter einen missbilligenden Blick zu und antwortet knapp: «Man hat ihr die Kehle durchgeschnitten. Die Polizei glaubt, dass es möglicherweise einen Zusammenhang mit den Ermittlungen gibt.»
«Mein Gott. Das ist ja schrecklich!» David macht eine Bewegung, als wollte er Ruth am Arm fassen, hält dann aber im letzten Moment inne.
«Ja, ich gebe zu, es hat mich erschüttert. Ich … ich hatte sie gern.»
«Natürlich. Sie hat Ihnen doch Gesellschaft geleistet.» Er sagt es, als wäre ihm klar, wie wichtig Gesellschaft ist.
«Stimmt, das hat sie.»
Einen Augenblick lang stehen sie alle verlegen im Regen, dann sagt Ruth: «Wir machen uns jetzt wohl besser auf den Heimweg.»
«Ja.» David blickt mit zusammengekniffenen Augen zum Horizont. «Die Flut hat schon eingesetzt.»
«Einmal wäre ich hier auf dem Watt fast ertrunken», erzählt Peter im Plauderton. «Die Flut hat mich eingeschlossen.»
«Das kann leicht passieren», sagt David. «Es heißt immer, die Flut sei schneller als ein galoppierendes Pferd.»
«Dann galoppieren wir mal lieber los», sagt Ruth. Plötzlich gehen sie ihr alle beide schrecklich auf die Nerven.
Als sie weitergehen, sagt Peter: «Seltsamer Bursche. Kennst du ihn näher?»
«Eigentlich nicht. Wir sind erst vor ein paar Monaten zufällig ins Gespräch gekommen. Und genau deshalb …», sie wirft ihm einen verärgerten Blick zu, «… möchte ich auch nicht, dass er gleich meine ganze Lebensgeschichte erfährt.»
Peter lacht. «Ich wollte doch nur nett sein. Weißt du noch, was das ist, Ruth? Nett?»
Ruth will schon etwas Schnippisches erwidern, als ihr Telefon piepst. Aus irgendeinem Grund weiß sie, dass es Nelson ist.
Eine SMS. Knapp und präzise.
«Habe Malone verhaftet. Seine Fingerabdrücke sind auf den Briefen. HN.»
15
«Wir müssen etwas unternehmen», ruft Erik. «Die Polizei hat sonst keinen Verdächtigen, deshalb wollen sie Cathbad die Sache anhängen. Das können wir doch nicht einfach zulassen!»
«Anscheinend sind seine Fingerabdrücke auf den Briefen», wendet Ruth behutsam ein.
«Pah, Fingerabdrücke! Glaubst du etwa, so was kann man nicht fälschen? Du hast ja keine Ahnung, wozu die fähig sind!»
Ruth schweigt, und Erik marschiert weiter wütend in ihrem kleinen Büro auf und ab. Sie sind in der Universität. Das Trimester
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