Totenplatz
vorkam.
Ein Blick zum Fenster. Dort war auch nichts.
Nein, das Kind mußte sich im Haus aufhalten. Irgendwo in den unteren Räumen, wenn überhaupt. Sie dachte auch an die Stereoanlage, die vielleicht eingeschaltet war.
Nein, das war nicht möglich. Dann hätte sie auch jetzt Musik oder Stimmen vernommen, denn niemand war da, der die Anlage hätte ausschalten können. Und sie fragte sich auch, weshalb sie keine Angst verspürte, sondern eher das Gefühl der Spannung und Neugierde. Sie selbst konnte es kaum beschreiben. Da war eine Wand vor ihr, in die sie aber hineingehen konnte, und sie würde sich öffnen.
Mit leisen Schritten bewegte sich die Frau auf die Tür zu. Sie hatte sich endlich überwunden, der Wohnraum öffnete sich. Sie schaute nach rechts zum großen Fenster. Der Garten dahinter, der Tisch mit der Puppe, die Möbel, der Steinfußboden, auf dem sich die Teppiche verteilten, dann die Treppe, die vom Wohnzimmer aus in die obere Etage führte, denn dieses Haus bildete eine Einheit.
Alles das kam bei ihr zusammen, alles war vertraut, sie konnte darüber lächeln, die Augen schimmerten, als sie den Mund bewegte und ein leises »Hallo…« rief.
Wo blieb die Antwort?
Noch hörte sie nichts. Sie hatte auch nichts gesehen. Aber irgendwo mußte das Kind doch sein. Es war da.
Die Bewegung auf der oberen Hälfte der Treppe glich mehr einem Huschen. Da war ein heller Schatten, gleichzeitig auch dunkel. Helen kam mit der eigenen Beschreibung nicht zurecht. Ein Phänomen, an das sie bisher nicht einmal zu träumen gewagt hatte.
Aber es war da.
Auf der Treppe stand jemand und ging nicht mehr weiter. Es sah aus, als wollte die Gestalt abgeholt werden.
Helen McBain tat auch keinen Schritt mehr. Sie stand einfach nur da und staunte. Etwas hatte sich verändert. Da war eine Kraft, die sie regelrecht umfloß, umspielte, und diese Kraft konnte von ihr nicht erklärt werden.
Sie mußte hingenommen werden, sie war einfach wunderbar, klar, rein und anders. Helen war fasziniert und trotzdem durcheinander. So dauerte es eine Weile, bis sie sich zurechtfand und endlich in der Lage war, auch Einzelheiten aufzunehmen.
Geist oder Mensch?
Ein Kind stand auf der Treppe ein Mädchen, aber bei ihm floß beides zusammen, so daß es Helen schwerfiel, sich zu entscheiden.
Andererseits war es auch nicht wichtig. Ein nettes Mädchen. Es trug ein dunkles Kleid mit einem Blumenmuster. Von der Schnittform her hatte das Kleid Ähnlichkeit mit lern der Puppe, ansonsten gab es zwischen den beiden keine Gemeinsamkeiten. Aber die Gestalt war da, sie lächelte auch. Der kleine Mund paßte zu dem runden Gesicht mit den blonden Haaren.
Helen räusperte sich. Sie hatte sich selbst innerlich auf Vordermann gebracht. Das mußte sie auch tun, um eine Frage stellen zu können.
»Wer bist du…?«
Drei Worte, die versickerten. Helen wartete gespannt auf die Antwort.
Noch war sie nicht sicher, ob sie ihr gegeben würde, aber das Mädchen sprach tatsächlich.
»Ich bin Cynthia…«
Helen McBain schloß für einen Moment die Augen. Cynthia – der Name klang in ihrem Kopf nach. Sie konnte damit nichts anfangen, und sie wußte auch nicht, ob sie einen Menschen oder einen Geist vor sich hatte. Jedenfalls war alles so anders und fremd geworden.
»Cynthia?« wiederholte Helen.
»Ja.«
»Mehr nicht…?«
»Doch!« wisperte es. »Doch…«
»Was denn noch?«
»Ich bin tot…«
***
Es war wirklich nicht viel Zeit vergangen, bis wir unser Ziel erreicht hatten. Da ich nicht zu fahren brauchte, hatte ich Muße gehabt, mich umzuschauen, und ich mußte mir eingestehen, daß es sich in dieser Gegend wunderbar leben ließ, falls man die Einsamkeit liebte. Hier war die Natur äußerlich perfekt. Sie umgab den Menschen wie ein Rahmen, in dem er wunderbar den Wechsel der Jahreszeiten erleben konnte, und auch für einen Weekend-Trip eignete sich die Umgebung wunderbar.
Die Grillhütte lag ideal. Im Wald, auf einer großen Lichtung, von der Straße her gut zu erreichen, leider auch für Autos, denn die Lichtung bot genügend Parkplätze. Hier würde also die Jagdgesellschaft erscheinen und die Ruhe des Waldes stören, was mir überhaupt nicht gefiel.
Das sah auch der Förster. Ihm gefiel wohl mein Gesichtsausdruck nicht.
Er hatte das Fahrzeug gestoppt und noch beide Hände auf dem Lenkrad liegen. »Was haben Sie, Mr. Sinclair?«
»Nicht viel. Ich habe nur nachgedacht. Dabei ist mir eingefallen, daß es wohl nicht gut sein kann, wenn hier einige
Weitere Kostenlose Bücher