Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz
überhaupt nicht, worum es geht. Ich habe ein paar Nachbarn im Haus gefragt, aber niemand hat sie seit vorgestern gesehen. Sie hat noch nicht einmal ihr Paket mit der Salzkristallleuchte, auf die sie sich schon seit Wochen freut, bei ihrer Nachbarin Frau Pelche abgeholt. Horst, das ist so gar nicht ihre Art, da stimmt was nicht. Wir müssen unbedingt etwas unternehmen.«
Mürrisch zog Horst Eckart seine Augenbrauen zusammen.
»Du und deine Bedenken«, schnaufte er. »Wer weiß, vielleicht hat Hanne nur einen neuen Bekannten und ist mit ihm für ein paar Tage verreist. Überhaupt, was stellst
du dir denn vor, das wir unternehmen sollen? Etwa die Polizei rufen?«
»Nein, aber wenn Hanne jemanden kennengelernt hätte, wüsste ich davon. Ich weiß doch auch nicht, was wir machen sollen, aber wenn du nachher deinen Rundgang durch die Gartenanlage machst, werde ich dich begleiten. Lass uns auf Hannes Grundstück noch einmal gemeinsam nach dem Rechten sehen.«
Endlich einmal ausschlafen und faulenzen können, anstatt die Zeit damit zu verbringen, neue Herausforderungen annehmen zu müssen. Vielleicht sollte er sich heute zur Feier des Tages wieder einmal etwas Leckeres kochen, überlegte er, denn schließlich hatte er in den letzten Wochen beinahe ausschließlich von miesem Kantinenfraß, Fastfood und Konserven gelebt. Erneut brachte sich sein Magen durch ein unangenehmes Ziehen in Erinnerung. In Zukunft musste er wirklich mehr auf sich achten, wenn er sich nicht schon wieder ein schmerzhaftes Magengeschwür einfangen wollte. Ja, sein Magen war von jeher seine Schwachstelle gewesen; genau das richtige Zipperlein für einen sensiblen Menschen wie ihn. Möglicherweise kam der unangenehme Druck in seinem Bauch aber auch daher, dass mittlerweile ein Phantombild von ihm in der Zeitung abgedruckt worden war – wenn auch kein besonders gutes.
Natürlich war es ein Fehler gewesen, sich mit Moni an einem öffentlichen Ort zu zeigen. Den zweiten Fehler hatte er auf seinem Rückweg nach der Tat begangen, als er übersehen hatte, dass ein Stück von der Plastikplane, die er zusammen mit der blutgetränkten Decke in einer
Tüte transportiert hatte, abgerissen war und irgendwo in der Nähe des Tatortes zurückgeblieben sein musste. Aber er hatte dazugelernt, und solche Schnitzer würden ihm nicht noch einmal unterlaufen. Er gähnte geräuschvoll, während er sich behaglich in seinem Bett ausstreckte. Vorsichtig stellte er Hannes Laptop, den er aus der Gartenlaube mitgenommen hatte, beiseite und drehte sich gemütlich auf den Rücken. Da hörte er etwas knistern, und im gleichen Moment fiel der neben ihm liegenden DIN-A4-Hefter auch schon zu Boden. Träge richtete er sich auf, um ihn wieder aufzuheben. Trotz seines Vorsatzes, heute einmal nicht an die vor ihm liegende Aufgabe zu denken, konnte er es nicht lassen, einen Blick in Helenas Akte zu werfen.
Ordnung war das halbe Leben, und daher hatte er sich angewöhnt, von jeder seiner Favoritinnen eine Art Exposé anzufertigen. Kurze Beschreibungen ihrer Vorzüge und Besonderheiten, fast schon in der Art, in der ein Hausmakler seine zu verkaufenden Objekte anpries. Hinter diese Seiten hatte er die vermutlich zu seiner jeweiligen Favoritin passende Biografie ihres Traumprinzen geheftet, an der er stets so lange herumfeilte, bis alles passte und ein rundes Bild abgab. Er konnte wirklich stolz auf sich sein, denn sowohl bei Moni als auch bei Hanne hatte jedes Detail gepasst. Weshalb auch beide Schlampen, zumindest für kurze Zeit, genau das bekommen hatten, wonach sie sich ihr ganzes Leben lang gesehnt hatten: ihren Ritter auf dem weißen Pferd. Einer, der sie verstand, einer, der mit allem, was ihn ausmachte, genau zu ihnen passte. Vielleicht sollte er sich tatsächlich einmal überlegen, ob es nicht sinnvoller wäre, seinen
ungeliebten Bürojob hinzuschmeißen und stattdessen seine überragenden Fähigkeiten in bare Münze zu verwandeln, indem er zukünftig professionell und hauptberuflich Paare zusammenführte.
Helenas Ordner war inzwischen deutlich der umfangreichste, dabei hatte er noch nicht einmal richtig zu recherchieren begonnen. Vor allem benötigte er für sie noch zusätzliches Futter, musste von irgendwoher ein paar Fotos organisieren, um Cornelius’ Biografie weiter auszubauen. Denn bei seiner griechischen Heldin sollte alles genau so verlaufen, wie er es sich vorstellte.
Leider waren die Fotos, die er hinterher von den ersten beiden Schlampen aufgenommen hatte, eher
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