Totenrache und zehn weitere Erzählungen
ist doch tot! , hämmerte es in ihm. Ich hab´ sie doch umgebracht und begraben.
Er nahm nicht wahr, dass seine Blase sich entleerte. Er umklammerte das Lenkrad seines Ford so krampfhaft, dass die Knöchel seiner Finger weiß und spitz hervorstachen.
Nun ist es vorbei!, dachte er benommen. Sie kriegen mich!
Freeman schüttelte den Kopf und schrie voller Qual auf. Christine schaute mit bannendem, ernstem Blick zu ihm hin, in ihrem zerstörten Gesicht war kein Anzeichen eines Lächelns. Sie trug, sah Freeman nun, keine Schuhe. Ihre nackten, von rauem Gestein zerkratzten Füße waren so bleich und blutleer wie ihr Gesicht.
Vielleicht lag es an diesem Anblick, dass er die Kontrolle verlor. „Nein!“ schrie er auf. Er kurbelte wild am Lenkrad und scherte mit quietschenden Reifen nach rechts aus. Er fuhr auf seinen Vordermann auf, dessen Wagen einen Satz nach vorn machte. Splitterndes Glas stob davon, aber Freeman kümmerte sich nicht darum, er fuhr halb auf der Straße, teils auf dem Gehweg und raste davon.
Er sah die Gesichter einiger Passanten vor ihm, deren Münder zu einem Schrei aufklafften, bevor sie sich mit großen Sprüngen in Sicherheit brachten. Andere machten verzweifelte Gesten in seine Richtung – Halten Sie an , wollten sie ihm bedeuten, bevor Sie ein Blutbad verursachen ! -, aber Freeman schenkte ihnen keine Beachtung.
Er versuchte, mit weit aufgerissenen, irr schauenden Augen im Rückspiegel etwas von Christines entsetzlichem Gesicht zu erkennen, aber es gelang ihm nicht. Ständig pendelte sein Blick zwischen Rückspiegel und Windschutzscheibe.
Dann zuckte sein Körper verkrampft zusammen. „Haut ab!“ schrie er. Einen Steinwurf von ihm entfernt standen zwei Männer, die in einer Unterhaltung vertieft gewesen waren. Hinter ihnen wuchs drohend eine Litfasssäule empor. Von dem Plakat lächelte riesenhaft eine Frau zu ihm herunter.
Ich schaff´s nicht !, wimmerte eine Stimme in Freeman auf.
Bevor sein vor Schock erstarrtes Hirn eine Entscheidung treffen konnte, war er bereits heran. Einer der Männer besaß die Geistesgegenwärtigkeit, einen verzweifelten Satz zur Seite zu machen, der andere schaffte es nicht. Beinah mit einem Ausdruck des Erstaunens schaute er, wie Freemans dunkler Ford heranraste.
Das Geräusch des Aufpralls war grässlich. Freeman wurde mit brutaler Wucht nach vorn gegen die Windschutzscheibe geschleudert und hörte Metall kreischen, dann den Menschen, der zwischen dem Wagen und der Säule verkeilt war. In seinem Mund nahm er den Geschmack von Blut wahr. Haltlos rutschten seine Hände vom Lenkrad herunter und blieben auf seinem Schoß liegen.
Ich hab´ mir in die Hose gepisst !, dachte er unangenehm berührt. Aber tief in ihm schlummerte die Gewissheit, dass niemand darüber lachen würde.
Mit einem Stöhnen drückte er sich zurück in den Sitz und blickte in das vor purem Schmerz verzogene Gesicht des zerquetschten Mannes, der wie eine Sirene kreischte. Seine Augen schienen immer weiter hervorzuquellen. Mit seinen blutenden Fäusten hämmerte er auf das verbogene Blech der Motorhaube, es war ein rasender Wirbel, der im Innern des Wagens laut dröhnte.
Freeman sah ihn, aber er konnte den Anblick nicht begreifen. Sein Kopf war kalt und dunkel, wie leer gefegt. Ein beinah angenehmes Gefühl machte sich in ihm breit. Er entzifferte den Slogan auf dem Plakat: Lebe Dein Leben !
Er öffnete mit Mühe die Wagentür und stolperte aus seinem zerstörten Wagen. Die Passanten um ihn herum starrten ihn an, und für einen schrecklichen Moment befürchtete Freeman, dass sie doch lachen würden. Einige von ihnen übergaben sich brüllend, andere ließen ihren Tränen freien Lauf und schauten auf den verkeilten Mann, dessen Beine in grotesken Winkeln und völlig deformiert vom Leib abstanden. Sein rechtes Bein, sah Freeman, als er ebenfalls kurz hinüberschaute, zuckte und zitterte haltlos, weiße Knochen stachen durch sein blutüberströmtes Fleisch. Der Mann schrie nicht mehr, sein Kopf hatte sich nach unten gesenkt, Blut floss aus seinem Mund.
Freeman schaute sich nach Christine um, konnte sie aber nicht entdecken. Er begann zu laufen, erst zögerlich, dann, als er Zuversicht gewann, immer schneller, und niemand besaß die Geistesgegenwärtigkeit, ihn aufzuhalten.
Das Erwachen war eine Abfolge von verwirrenden Eindrücken, die sich summierten und ein flackerndes Bild ergaben, das neue Fragen aufwarf: Wo war er, und was von dem, was an Erinnerungsfetzen in seinem Hirn rumorte,
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