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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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niederprasselnden Schläge, und ihr Mund stand ein wenig offen, die blasse Spitze der Zunge lugte hervor.
    Mit übertriebener Hast sammelte Freeman einige Steinbrocken auf, die in Massen an den Tunnelwänden lagen, und schichtete sie zu einem primitiven Grab auf. Bald bedeckten sie Christines Oberkörper und löschten ihren bannenden Blick aus, dann ihren Schoß, zum Schluss und etwas nachlässig die hübschen Beine.
    Schwitzend von der Anstrengung und mit zitternden Gliedern beobachtete Freeman das Grab im schwächer werdenden und flackernden Licht der Taschenlampe und nickte erleichtert. Vielleicht würde irgendjemand sie hier finden, aber er war voller Zuversicht, dass dies erst dann geschehen würde, wenn alle verräterischen Spuren ausgelöscht waren. Die Zeit und die Ratten würden ihr das Fleisch von den Knochen nagen und sie nach und nach zu einem unbekannten, bedauernswerten Opfer reduzieren.
    Kurz legte er zwei Finger an seine Stirn und stand da in der Pose eines nachlässig salutierenden Soldaten. Sein Mund öffnete sich, als wollte er etwas zum Abschied sagen, aber dann schüttelte er den Kopf und ging den beschwerlichen Weg zurück, den er gekommen war.
    Unentwegt hallte ihr Name durch seinen Kopf, und er sah ihre blitzenden Totenaugen, die auf ihn niederstarrten.

    In den folgenden Tagen schwand Christine nicht völlig aus seiner Erinnerung, aber Freemans Gedanken drehten sich nicht mehr permanent um sie, und auch seine Befürchtung, jemand könne ihr Grab vorzeitig entdecken, verblasste bald. In den Zeitungen, die er fieberhaft studierte, fand er nicht den geringsten Hinweis darauf, dass sie vermisst wurde. Wie beschämend, dachte er: Jemand stirbt, und die Welt bemerkt es nicht. Der Gedanke beschäftigte ihn eine Weile, dann schob er ihn beiseite. Er hatte ein langweiliges Leben ausgelöscht – einen Namen und eine Handvoll fadenscheiniger Träume -, jeden Tag geschah andernorts Schlimmeres.
    Freeman fuhr durch Londons Straßen und empfand zum ersten Mal wirklich Spaß an seinem Beruf als Vertreter. Es war beinah so, als hätte der Mord eine unbekannte Welt, in der Leidenschaft herrschte, aus dem Dunkel seines Kopfes gezerrt. Die Toten konnten nichts, er hingegen alles. Ihm war nie bewusst geworden, wie groß seine Macht war.
    Er lachte hell auf, es klang wie eine Salve aus einem Maschinengewehr. Er hatte in den vergangenen Tagen, obschon stets allein, soviel gelacht wie nie zuvor in seinem Leben, wenn er auch meist den Grund dafür nicht kannte. Allein das Geräusch gefiel ihm.
    Manchmal tasteten seine Gedanken, wenn er es zuließ, sich zurück zu jenem Abend, als er Christine in einer Bar kennen gelernt hatte. Es war eine Begegnung jener Art gewesen, die Freeman sehr gut kannte. Er wusste, dass sie nur mit ihm sprach, weil sie betrunken genug war. Warum sie sich plötzlich auf der Fahrt zu Freemans Wohnung gegen seine Berührungen gesträubt hatte, verstand er nicht. Es mochte einen lichten Augenblick in ihrem vom Alkohol getränkten Verstand gegeben haben. Was hatte sie gesagt?, überlegte er nachlässig, mit welchen Worten hatte sie ihn verletzt, während seine Hand auf ihren warmen Schenkeln lag? Es fiel ihm nicht mehr ein.
    Langsam durchfuhr er die Commercial Road. Weiter vorn sah er das Ende eines Staus, für diese Tageszeit nichts Außergewöhnliches. Normalerweise brachte dies sein Blut in Wallung, nun aber blieb er angesichts der Verzögerung völlig gelassen. Er schwitzte und fluchte nicht, als es nur langsam voranging. Grinsend zündete er sich eine Zigarette an und beobachtete die Passanten, die aneinander vorbeihasteten. Einer jungen Frau mit nach unten gewandtem Blick pfiff er hinterher.
    Plötzlich erstarb sein Grinsen. Im gemächlichen Voranfahren kam er in die Nähe einer Kreuzung, an der zu allen Seiten der Straßen Menschen standen, die sie überqueren wollten. Freeman gab ein Stöhnen von sich und sagte etwas, das er nicht verstand, während er auf das mit trockenem Blut besudelte Gesicht der Frau innerhalb einer dieser Trauben von Menschen starrte. Es war, dort wo es nicht mit Blut beschmutzt war, so bleich, dass es zu leuchten schien. Niemand sonst nahm die schreckliche Frau wahr, einige Passanten schauten in ihre Richtung, aber der Blick rief kein Entsetzen hervor.
    Christine, dachte Freeman erschaudernd. Panik schäumte in ihm hoch, wie in jener Nacht spürte er auch diesmal den schalen Geschmack des Entsetzens auf seiner Zunge, nur war es diesmal beinah noch schlimmer. Sie

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