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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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sehen.
    „Ich bin mir sicher, du hättest mir das auch sagen können.“
    Brendan spürte, wie ihm Blut ins Gesicht hochschoss. Für einen Moment war er stumm vor Verzweiflung, die ihn denken ließ: Warum hatte sie ihn nicht umgebracht ? Aber das war Unsinn, oder? Er hatte keine Schuld auf sich geladen, aus der er sich herausreden musste, außer dem Verschweigen seiner Zeugenschaft vielleicht. Wenn er redete, dann war er frei, oder?
    „Ja“, gab er zu, „ich wusste es. Aber nicht etwa, dass du nun glaubst, ich hätte ...“
    Rod winkte ab. „Keine Rede davon. Dort unten stieß ich auch auf die Frau.“
    Die Offenbarung verschlug Brendan die Sprache. „Ach?“ Mehr brachte er nicht zustande. „Ach ja?“
    „Ja. Und sie hat mir erklärt...“ Rods Augen verdunkelten sich, als hätte er sich das Geständnis der Mörderin zum ureigenen Erlebnis gemacht. „Sie hat mir erklärt, was geschehen ist. Ich hätte ihn auch umgebracht.“
    Wie Rod das sagte, so schlicht, glaubte Brendan ihm das. Das war, wie er sich erinnerte, sein eigener Gedanke: Der Kerl dort unten hatte den Tod verdient.
    „Hat sie noch mehr gesagt?“
    Rod schreckte aus seinen Gedanken auf, in denen er gewühlt hatte. „Mehr?“
    „Über sich. Warum sie hier ist; ihren Namen; mehr über sich.“
    „Ja, hat sie. Aber lass uns morgen darüber reden, ja?“ Rod fuhr sich mit einer Hand über die Augen. „Ich bin müde, und uns erwartet ein schwerer Tag. Ich muss mich ausruhen für das, was es noch zu erledigen gibt. Wir müssen morgen den Kadaver fortschaffen.“
    „Fortschaffen?“ Im Geiste sah Brendan sich den Kopf schütteln. „Warum lassen wir ihn nicht einfach dort. Das ist ein gutes Versteck dort; niemand wird ihn finden.“
    „Wir haben ihn gefunden.“ Rod zuckte mit den Achseln. „Er muss fort. Das war ein Versprechen, das ich ihr hab geben müssen, auch in deinem Namen. Was hätte ich tun sollen?“, sagte er, als er Brendans Zweifel erkannte. „Ich hab sie gesehen; da kann ich nicht so tun, als ließe sie mich kalt. Das könnte niemand.“
    Zumindest das stimmte, wie Brendan wusste. „Sicherlich wartet sie unten“, sagte er, mehr zu sich selbst.
    „Bestimmt. Jedenfalls sagte sie das.“ Rod gähnte, erhob sich von der Tischkante und ging zum Ausgang. „Vergiss nicht, die Tür hinter mir abzuschließen.“

    Brendan vergaß es dennoch. Kaum war Rod fort, ergatterte er eine Taschenlampe und unterzog sie einer eingehenden Prüfung. Dann stieg er mit ihr in der Hand in den Keller hinab. Er wusste nicht, was höher zu bewerten war: Rods unversehrte Rückkehr aus dem Keller oder die, anders als zuvor die Feuerzeugflamme, zuverlässige Lichtquelle. Jedenfalls verspürte er keine Angst, nur Begeisterung. Er stellte sich vor, die Frau wartete auf ihn hinter der nächsten Biegung, wartete mit offenen Armen, um die Frustration ob ihrer Gefangenschaft mit ihm zu teilen, wenn´s nach ihm ging, bis ans Ende seines Lebens.
    Sie wartete nicht; jedenfalls erwies sich die Suche nach ihr als schwierige Angelegenheit.
    Nachdem Brendan das Archiv durchquert und durch die an seinem Ende liegenden Tür verlassen hatte, traf er auf die Leiche. Die Hitze der vergangenen Tage hatte heißhungrig am Luden genagt; sie und Ratten. Eine saß auf seiner Brust, wie eine Königin auf ihrem Thron, und sondierte die Umgebung, andere taten sich am Fleisch gütlich. Das sich über sie und ihr Mahl erströmende Licht trieb sie in verlassenere Ecken, wofür Brendan ein Stoßgebet murmelte. Die um den Toten herumgeflossene Blutlache war zu einer schmierigen, nicht völlig getrockneten Masse geronnen. Immer noch waren seine zu Murmeln verdörrten Augen geöffnet; die Erwiderung des Lichts schien aus ihnen zu kommen. Brendan konnte sich dem Blick nicht entziehen: Wo immer er sich hindrehte, der Tote schaute ihm nach. Auf seinen Lippen glaubte Brendan immer noch einen Anflug des Todesschmerzes zu erkennen, aber dies war gewiss eine Täuschung. Die Muskeln und Sehnen waren mürbe geworden – genau so schwach wie die Erinnerung an diesen Mann, der bald nur noch ein Mythos sein würde. Selbst den Besten erging es so: Sie schwanden hin, und bestenfalls als Gerücht überlebten sie.
    Und dieser hier ... Brendan stupste ihn mit einer Fußspitze an. Eine unter dem Luden verborgene Luftblase platzte auf, und eine Welle üblen Gestanks drang hervor. Brendan musste die Luft anhalten, aber auch das passte ins Schema seiner Überlegungen. Abscheu: Das war es, was den Mann in der

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