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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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Erinnerung anderer am Leben hielt.
    Nach all dem jetzt - den Ratten, der Leiche, den Befürchtungen - konnte alles Folgende nicht mehr so schlimm sein, dachte er, während er tiefer in den Gang eindrang, der ihn sicherlich bereits über die Grenze des eigentlichen Grundstücks herausgeführt hatte. Stimmten seine vagen Berechnungen, würde er bald, wenn er die Richtung beibehielt, in die Nähe des Stadtkerns gelangen. Der Sinn der Unterhöhlung des Ortes wurde ihm partout nicht klar, und Brendan zeigte kein aufrichtiges Interesse daran, aber es hielt seine Gedanken geschmeidig.
    Nach einer Weile gabelte sich der Gang. Brendan blieb unschlüssig stehen. Irgendwo fielen im Takt seines Herzschlags Tropfen in eine Wasserlache. Er fand keinerlei Hinweise menschlicher Anwesenheit, die Abzweigungen zu beiden Seiten sahen öde und verlassen aus. Plötzlich hörte er ein Geräusch, hinter ihm oder von vorn, eingebildet oder wahrhaftig - er wusste es nicht. Er wirbelte herum, beleuchtete die Winkel der Weggabelung, und während er das tat, fiel ihm ein, dass er mit der brennenden Lampe in der Hand ein vorzügliches Ziel abgab. Er schaltete die Lampe aus; Dunkelheit fiel über ihn her, und mit ihr die Angst. Die Geräusche ähnelten Schritten. Schritten, dachte Brendan schaudernd, denen am Schleichen nichts lag. Bedrohlicher als sie war jetzt die Dunkelheit. Mit brennenden Augen starrte er ins Nichts und wagte nicht zu blinzeln. Er fühlte sich beobachtet, bis ins Innerste durchschaut, mit dem leidenschaftslosen Blick eines Schlächters für eine Fuhre abgehangenen Frischfleischs taxiert.
    Zweifellos waren das Schritte - jetzt wusste er es mit Bestimmtheit zu sagen -, und zweifellos kamen sie näher. Illusionen platzten hervor im Schutz seiner Blindheit. Es war leicht jetzt, daran zu glauben, die Schächte wären übervölkert mit Wesen eines Alptraumszenariums. Vielleicht füllten die Filmemacher die bluttriefenden Seiten ihrer Drehbücher aus wahrhaftigen Quellen wie dieser, und das, wovor der Betrachter zusammenzuckte, beruhte letztlich auf Erinnerungen. Und vielleicht schüttelte der Lude die Klammheit von seinen Gliedern, nähte seine Wunden zusammen und kam jetzt herüber zu Brendan.
    Ein blinder Schwall Panik umwürgte Brendans Vernunft. Ein verräterischer Schrei bahnte sich an und wäre ihm beinah entschlüpft. Er presste die Lippen zusammen und schluckte ihn wieder herunter. Seine Beine entwickelten ein Eigenleben, und er rannte in den Gang hinein, der sich ihm eröffnete. Das Vorankommen in völliger Dunkelheit war beschwerlich; er stolperte über Steine und streifte mehrmals die Wände.
    Brendan und sportliche Betätigung hatten nie viel gemeinsam gehabt, mit Ausnahme der gegenseitigen Abneigung. Nach kurzer Zeit - ihm kam es wie ein ganzes Leben vor - verließ ihn die Kraft; noch eine Handvoll Schritte weiter, und die Erschöpfung hätte ihn in die Knie gezwungen. Mit Ausnahme des Schmerzes wurde jede Empfindung auf ein Minimum reduziert - selbst die Angst spielte keine Rolle mehr -, und er brachte beinah mühelos die Geduld auf, die Herrschaft über seinen Körper zurückzuerlangen. Die Regungen seines Körpers klangen beängstigend; der Herzschlag hatte sich zu einem permanenten Vibrieren gewandelt, das an seinen Handgelenken und Schläfen sichtbar wurde, und sein Atem hörte sich wie das Hecheln eines zu Tode erschöpften Hundes an.
    Wenn es Verfolger gab, dann verhielten sie sich ruhiger. Was immer auch in den Eingeweiden der Stadt verborgen sein mochte, es zeigte sich ihm nicht.
    Er schaute auf die Leuchtziffern seiner Uhr. Es war kurz nach Mitternacht. Verwirrt runzelte er die Stirn. Die Zeit war so rätselhaft wie das Labyrinth, in dem er sich befand, nur mit dem Unterschied, dass er ihr Vertrauen schenkte. Es waren, seit er das Archiv betreten hatte, keine fünfzehn Minuten verstrichen. Das weckte neue Euphorie. Wenn er sich zusammenriss, war es eine spielerische Sache, zum Ausgang zurückzufinden. Nur eine Abzweigung, an welcher er sich nach links wenden musste, dann war er wieder im Gang, der sich aus dem Archiv ergoss; dort würde er sich an der Gesellschaft des Toten erfreuen und in die Sicherheit des Kinos zurückkehren. Und morgen dann gab es anderweitige Pläne zu schmieden. Die Vorgehensweise war in ihrer Einfachheit so unverrückbar erfolgversprechend, dass sie ihm, nach all den Spuren von Panik und Tränen, den Anflug eines Lächelns ins Gesicht zwang.
    Und die Frau? Der Gedanke an sie spornte

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