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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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sein Lächeln zu größerem Ehrgeiz an. Sie war, was sie womöglich immer gewesen war: eine Illusion. In den Straßen der Stadt nach einer ihrer leibhaftigen Schwestern zu suchen, war ein Plan.
    Morgen dann.

    Nach dreißig Minuten war er immer noch nicht in die Nähe des Archivs gelangt, und sein Lächeln wich neuer Verzweiflung. Es gab nicht nur eine Abzweigung; es gab derer viele, und sie alle ergossen sich in entlegendere Zonen des Labyrinths.
    Der Weg zurück: pures Wunschdenken jetzt nur noch. Hunger – nach Licht und Leben - zerwühlte seine Eingeweide, und unter einer dünnen Schicht aus Besonnenheit drohte Verstörung, ihn vollends ins Nichts zu stürzen. Er kannte das von den Jahren im Gefängnis: Nächte, die aus nichts anderem als Leere bestanden, ein Hohnlachen auf jegliches Anzeichen von Sehnsucht herunterspeiend. Aber dort gab es Hoffnung. Man wusste, es wurde Tag, der das Dunkel wegsperrte. Aber hier - er schluchzte auf, als er sich dessen bewusst wurde - hier war es immer Nacht. Das war, in jeder Hinsicht, ein komplettes Gefängnis. Über seinem Kopf breitgetretene Massen aus Erdschichten und Granit hielten ihn gefangen, und niemand, der droben seinen Geschäften nachging, war aufgeschlossen genug, Brendans Verzweiflung wahrzunehmen.
    Er schaute auf seine Uhr: wenige Minuten nach eins.
    Im Abstand einiger Minuten schaltete er die Taschenlampe ein: wenige Sekunden auf öde Felswände schauen und endlose Minuten des Wartens auf die nächste Frist, die er sich gewährte. Das Licht spendete keinen Trost mehr. Es war eine Möglichkeit, den Irrsinn aufs Äußerste hinauszuzögern, es war ein Spiel, das der Ablenkung diente: er zählte hundert Schritte, und zur Belohnung seiner Mühe machte er sich das Licht zum Geschenk.

  Zwei Uhr.
    Er beschäftigte sich mittlerweile mit einem Problem, das von seinen schmerzenden Füßen ablenkte, die eine eintönige Melodie am Boden und einen müden Hall erzeugten. Wie fing man Ratten, und wie schmeckte ihr rohes Fleisch, und stillte ihr Blut seinen unerträglichen Durst? Er hörte sie fortwährend, und manchmal erwiderten ihre Augen das Licht seiner Lampe, aber sie kamen ihm nie so nah, dass er sich Chancen errechnen konnte, sie zu fassen bekommen. Gelegentlich ertappte er sich dabei, wie er sie mit Versprechungen zu locken versuchte, aber sie widerstanden der Versuchung seiner Worte. Dann spie er ihnen seine Verzweiflung entgegen, und eine neue Zeit des Wartens auf ihre Wiederkehr begann. Hin und wieder vernahm er, wie schon einmal, Wasser zu Boden fallen, und er leckte sich die trockenen Lippen danach, aber so verzweifelt nah die Quellen auch sein mochten, er entdeckte sie nicht, und ihm wurde klar, unwiderruflich jetzt, dass die Hoffnung auf Freiheit ein blinder Glaube war.
    Drei Uhr.
    Sein rechter, müde sich vorantastender Fuß kam mit etwas in Berührung. Er spürte, wie weiches, leblos-kaltes Gewebe seine Fessel mit ihrem melancholischen Griff umschloss, als wäre er liebkost worden. Der Schock durchschnitt wie ein Blitz Brendans erschlaffte Gedanken; in seinem Licht sah er, was geschehen war, sah sich selbst: eine verzerrte Parodie des Schreckens.
    Er wusste, noch während er fiel, dass dort jemand lag. Der Aufprall erschütterte ihn, und er stieß mit dem Kopf schmerzhaft gegen die Wand, aber er raubte ihm nichts: nicht das Bewußtsein, nicht die Panik. Er hörte sich Laute wimmern, die sein davonwirbelnder Verstand ausspie: der geringste Teil davon klang menschlich. Sein Fuß hing fest, und jeder Versuch, ihn herauszuzerren, verhakte ihn nur noch aussichtsloser in seinem Gefängnis. Der leblose Körper neben ihm ruckte im Gleichtakt seiner Bemühungen. Brendan spürte eine kalte Hand mit seinem Gesicht in Berührung kommen. Sein Wimmern schwoll an zum Gekreisch. Er trat mit seinem anderen Fuß aus und schob sich gleichzeitig fort. Schließlich konnte er sich befreien. Der Körper, den er mitgeschleift hatte, fiel schlaff in seine alte Position zurück.
    Schluchzend richtete Brendan sich auf, aber die Angst schien seine Glieder weichgeklopft zu haben. Zitternd sank er wieder zu Boden und kniete sich hin. Aus seinem schreckgeweiteten Mund troff Speichel, seine Augen brannten von vergossenen Tränen, und er dachte - die Heimkehr seines Verstandes wurde nicht umjubelt -, bei allem, was er erlebt hatte, stand das Schlimmste noch aus: Er musste in Erfahrung bringen, wer dort lag. Das schien ihm wichtig. Sie waren so etwas wie Brüder, nicht? Sie waren beide

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