Totenreigen
andere Möglichkeit.
»Mir ist schon klar, dass es sich im Dorf herumgesprochen hat, dass ich
hier ein Zimmer habe. Aber wer steckt dahinter?«, fragte Lüthje.
»Überlegen Sie doch mal, wem Sie davon erzählt haben. Ich war es
bestimmt nicht.«
»Ich sagte Ihnen doch, ich glaube Ihnen.«
Die Frage ist, wer davon wusste, dass Frau Jasch hier für ihn arbeitete.
Wer das herumerzählte, wollte zwei Dinge erreichen. Erstens: Frau Jasch dem
falschen Verdacht aussetzen, dass sie über Lüthjes Privatleben und Berufsleben
im Dorf oder sonst wo herumerzählte. Damit sollte erreicht werden, dass Lüthje
der richtigen Frau Jasch kündigen würde. Zweitens: Was war besser geeignet, als
ein Buch mit dem Titel »Verbrechen und Strafe« zu erwähnen, dass im Zimmer
seines Hauses auf dem Tisch lag. Womöglich enthielt dieses Buch wertvolle
Hinweise auf die Verhörmethoden des Kommissars. Oder sogar Hinweise auf die
Motive des Täters.
Außerdem würde sich die unbekannte Frau den Besitz dieses Buches
ganz legal im Buchhandel verschaffen und konnte sich damit auf die Dinge
vorbereiten, die der Kommissaar plante. Das war, zusammengefasst, die »Denke«
dieser Unbekannten.
»Ich werd mich dann mal vom Acker machen«, sagte Frau Jasch und sah
Lüthje enttäuscht an, der in Gedanken versunken dasaß.
»Nein, machen Sie doch das Zimmer und die Waschküche noch mal
sauber, damit es wirklich für morgen reicht«, sagte Lüthje, sprang auf, griff
nach seinem Rucksack und lief zur Tür. »Ich fahr noch ein bisschen Fahrrad.
Tschüss!«
Er holte sich seine Taschenlampe aus dem Kofferraum, fuhr mit dem
Fahrrad zum Heikendorfer Weg und ließ sich den Hang hinunterrollen. Er genoss
den Fahrtwind in der Nachmittagsluft nach der drückenden Schwüle des Tages.
Nachdem er die Kreuzung zur Mühlenstraße und zum Kiebitzredder
passiert hatte, ging es wieder bergauf. Er schaltete herunter, um die Steigung
zu schaffen. Im ersten Gang hatte er die Höhe an der Abzweigung zum
Steinkampberg so gerade eben geschafft. Er keuchte, trat weiter in die Pedale,
bis es wieder abwärtsging, nach links in die Dorfstraße und auf den kleinen
Parkplatz vor der Polizeistation.
Lüthje wartete am Tresen der Wache, bis ein Beamter aus dem
danebenliegenden Dienstraum kam.
»Guten Tag, Herr Lüthje«, sagte der Beamte überrascht.
»Polizeiobermeister Stoltenberg ist mein Name.«
»Ich wollte nur hören, wie es läuft«, sagte Lüthje. »Brauchen Sie
mehr Unterstützung?«
»Nein, wir haben ja noch die Neuen aus den umliegenden Stationen.
Wir sind mit zehn Leuten jetzt in der Strandstraße und den umliegenden Straßen
unterwegs gewesen. Da haben immer mehr Anwohner über Beobachtungen berichtet.
Das geben wir ja alles weiter an Sie nach Kiel.«
»Also keine heißen Spuren oder wenigstens interessante Hinweise?«,
fragte Lüthje.
»Kann man so noch nicht sagen.«
»Und sonst?«, fragte Lüthje.
»Die Szene, so will ich mal sagen, verhält sich ruhig. Denen ist
wohl der Schreck in die Glieder gefahren. Keine Einbrüche, Überfälle,
Sachbeschädigungen, Beleidigungen und keine Verkehrsunfälle. Das ist das
Tollste.«
»Schön«, antwortete Lüthje und griente. »Umso mehr Zeit haben Sie
für die Ermittlungsgruppe Friedenshügel.«
»Wer hat sich den Namen eigentlich ausgedacht?«
»Ich.«
»Find ich gut«, sagte Stoltenberg. »Das ist ja bei uns oft, Frieden,
aber unter dem Hügel lauert das doch.«
»Wie ist die Stimmung im Dorf?«, fragte Lüthje. »Was reden die Leute
über den Mord?«
»Die Angst geht um.« Er sah misstrauisch auf den Rucksack, den
Lüthje mit den Händen festhielt. »Das sehen Sie sogar im Supermarkt. Dieser
Blick von unten nach oben. Wissen Sie, was ich meine?«
»Oh ja, ich verstehe Sie sehr gut. Aber gibt es mehr als diese
Blicke? Etwas Konkretes. Vermutungen? Gerüchte? Klatsch?«, fragte Lüthje.
»Na ja.«
»Na, spucken Sie es aus«, drängte Lüthje.
»Wissen Sie, da hat mal jemand im Dorf vor einiger Zeit eine
Geschichte geschrieben, die war abgedruckt. Ich glaub, in der Kreiszeitung. Das
war ziemlich gruselig. Meine Frau hörte, wie darüber wieder beim ›Topmarkt‹ an
der Kasse geredet wurde.«
»Na, nun erzählen Sie schon. Worum geht es in der Geschichte?«
»Na ja. Also, das spielt hier in der Polizeistation. Ein Polizist
muss einen Schwachsinnigen vernehmen, der ein paar dumme Sachen gemacht hat.«
»Was für dumme Sachen?«
»Na, er hat im Supermarkt Spielzeug geklaut. Und dann einer Frau in
die Hand
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