Totenreigen
die Neurologie im
Niemannsweg gebracht worden und dann erst zu Ihnen? Warum hat man ihn nicht in
der Neurologie aufgenommen? Stattdessen wurde er transportiert, vom Niemannsweg
zur Metzstraße, also quer durch die Stadt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass
das in seinem Zustand die richtige Therapie war.«
»In der Notaufnahme der Neurologie wurde ein CCT gemacht, ein Bett war allerdings dort nicht frei. Aber zufällig hier im
Städtischen Krankenhaus. Also ist er hier in der internistischen Aufnahme
eingeliefert worden. Der Notarztwagen hatte die CCT -Aufnahmen
dabei.«
» CCT ?«, fragte Lüthje.
»Eine radiologische Methode, mit der scheibenartige Schnittbilder
vom Gehirn gemacht werden. So können wir zum Beispiel schnell entscheiden, ob
eine Operation notwendig ist. Das war hier nicht notwendig.«
»Und wenn hier auch kein Bett frei gewesen wäre?«
»Hätten wir einen anderen Patienten, bei dem es aus medizinischen
Gründen vertretbar wäre, auf dem Stationsflur unterbringen müssen.«
»Womit wir dann beim Thema Bettennotstand angelangt wären.«
»Was gerade jetzt in der Kieler Woche schon manchmal Thema sein
kann. Dann müssen die Patienten mit Schnittverletzungen, Knochenbrüchen oder
Alkoholvergiftung mit ihren Betten in den Fluren untergebracht werden.«
»Nächste Frage: Kann man einem Menschen ansehen, was den
Schlaganfall hervorgerufen hat?«
»Sie haben den Patienten von Laboe bis Kiel beobachtet?«
»Ich hatte keinen konkreten Anlass. Da war nur so ein Bauchgefühl.«
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Ich habe ihn an der Bushaltestelle nach der Abfahrtszeit gefragt.
Er hat nicht gesprochen, nur mit dem Arm zum Fahrplan gezeigt.«
Der Arzt nickte. »Haben Sie seine Augen gesehen?«
»Es war zu dunkel, er stand im Lichtschatten. Ich kann Ihnen nur
bestätigen, dass er Augen hatte.«
Der Arzt schmunzelte. »Was ist Ihnen sonst aufgefallen an ihm?«
»Er hat im Bus sehr oft auf seine Armbanduhr gesehen. Wieso fragen
Sie das alles?«
»Ein Schlaganfall kündigt sich an. Minuten, Stunden, Tage oder
Wochen vorher. Wenn der Patient etwas Schreckliches gesehen hat, könnte es den
Schlaganfall ausgelöst haben. Könnte . Die Therapie
wird davon nicht beeinflusst. Der Schlaganfall wird durch einen Gefäßverschluss
im Kopf ausgelöst. Es gibt Risikofaktoren, die das beeinflussen. Aber ob auch
nur einer dieser Risikofaktoren hier besteht, weiß ich nicht, weil ich fast
nichts über diesen Patienten weiß, außer, dass er einen recht guten
Allgemeinzustand und akzeptable Laborwerte hat. Ich schätze ihn auf Ende
sechzig bis Mitte siebzig. Positiv ist, dass er kein Übergewicht hat.«
Lüthje hob die Augenbrauen und wollte etwas sagen, aber Dr. Janz kam
ihm zuvor.
»Sie sollten sich auch mehr bewegen, das wissen Sie sicher selbst«,
sagte er, wieder lächelnd.
»Hat mein Hausarzt schon gesagt. Ich habe nach einer längeren Pause
wieder angefangen, Fahrrad zu fahren.«
»Sehr löblich. Bleiben Sie dran!«, sagte Dr. Janz. »Noch mal zu
unserem Herrn Schulz. Er hat in den Halsarterien einige Ablagerungen, aber auch
die sind nicht zwangsläufig die Ursache.«
»Er hat einen ermordeten Menschen im Blut gesehen. Reicht das
nicht?«
»Vielleicht.« Dr. Janz zuckte mit den Schultern. »Jeder Mensch
reagiert anders.«
»Und wenn während des Schocks über den Anblick des Blutes
gleichzeitig ein zweiter Schock stattgefunden hätte? Könnte das für Sie
auslösend sein?«
»Was für ein gleichzeitiger zweiter Schock
sollte das denn gewesen sein?«
»Das weiß ich noch nicht. Aber ich arbeite daran«, antwortete
Lüthje.
9.
Als Lüthje den Wagen vor seinem Haus in Laboe geparkt
hatte und in die Waschküche kam, wechselte Frau Jasch gerade den
Staubsaugerbeutel.
Lüthje sehnte sich nach Ruhe und hätte sie am liebsten nach Hause
geschickt, aber er hatte mit ihr noch ein Hühnchen zu rupfen.
»Sagen Sie nicht, dass ich nach einem Tag nennenswerten Staub
hinterlassen hätte«, sagte Lüthje.
»Nein, es ist nur für morgen gleich mit, dann brauch ich mich nicht
damit aufzuhalten. Außerdem bin ich fertig. Ich hab Ihnen Magerquark,
Magermilch und Vollkornbrot mitgebracht. Ihre Frau hat mich heute Morgen
angerufen.«
Frau Jasch stellte die Milchprodukte in den Kühlschrank. Lüthje
hatte schnell sein Handy aus der Tasche gezogen und fotografierte sie.
»Nein, bitte nicht, ich sehe furchtbar aus!«, rief sie entsetzt.
»Ich schicke es meiner Frau per Handy nach London. Damit sie sieht,
wie Sie
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