Totenruhe
betrogen.«
Verwirrt schaute ich ihn an. Hatte ich da irgendetwas vergessen, war ich ihm etwas schuldig geblieben? Erwartete er zur Begrüßung eine Flasche Rum, obwohl ich doch nicht wissen konnte, ihn statt Preul in dieser Heimstatt anzutreffen?
»Das musst du mir erklären«, bat ich vorsichtshalber.
»Da gibt es nicht viel zu erklären. Du erinnerst dich sicher an die Geschichte, die du mir seinerzeit überlassen hast. Auf Diskette, auf deiner Diskette. Du wirst das nicht bestreiten wollen.«
Wozu sollte ich? »Ich verstehe nicht?« Loss kam zur Sache. »Du hast mir ein Plagiat geschickt. Die Geschichte über eine witzige schwarze Katze stammt von Karl-Herbert Remmel, der hat sie vor 60 Jahren geschrieben. Ist aber in Vergessenheit geraten. Weißt du, dass ein Plagiat nur in den frechsten Fällen auffällt? Allein in Deutschland erscheinen jährlich Tausende neue Bücher, von Kurzgeschichten gar nicht zu reden. Das überblickt keiner. Somit ist es eine Einladung, auf reichem Feld zu wildern.«
Loss war wohl aus guten Gründen in der Klapse gelandet, anders konnte ich mir seine Gedankenkonstruktion nicht deuten. Einen Konter war ich mir allerdings schuldig.
»Willst du dich für die Misshandlung von Preul rächen? Über mich? Warum gerade ich? Wieso bist du überhaupt hier, wo ich Preul erwartet habe?«
»Ich, du, Preul«, dozierte er, »wer weiß schon so genau Bescheid? Ich bin Preul.« Er richtete sich plötzlich auf, wurde bleich und donnerte unvermittelt los: »Nein, ich bin es nicht, ich bin nicht Preul. Ich kann es nicht verantworten.« Der Auftritt hatte ihn viel Kraft gekostet, erschöpft sank er auf seinen Stuhl zurück.
Auf einem zweiten Stuhl suchte ich Klarheit zu gewinnen. Beim Aufspüren eines angeblichen Plagiators wurde ich in diese infame Rolle gedrängt. Nicht zu unrecht durch meinen ehemaligen Chef und nun durch Loss, der offensichtlich nicht nur Texte, sondern die gesamte Person des Karl Preul plagiiert hatte.
Meine Gedanken überschlugen sich. Ein Karl-Herbert Remmel war mit absolut unbekannt und seine Texte auch. Oder doch nicht? War ein Remmel-Text in meinen Computer geraten und nun unter meinem Namen in den Computer von Loss weitergewandert? Konnte man ein Plagiat auch unbewusst begehen? Unbewusst und ungewollt? Kann man zu einem Plagiat verführt werden? Verführt, gedrängt, vergewaltigt? Wird man durch eine Krankheit zum Plagiator? Haben Plagiatoren einen psychischen Defekt? Preul hatte einen, zweifellos. Und Loss? Und ich?
Loss kam langsam wieder zu sich. Er räusperte sich und bemerkte leidenschaftslos: »Weiß du, was Plagiator heißt? Du hast wohl nicht das Große Latinum? Plagiator heißt Seelendieb. Du bist ein Seelendieb und Preul ist auch einer. Preul hat meine Seele gestohlen – aber bin ich deshalb Preul? Für die Öffentlichkeit schon. Und die ist hier überschaubar. Patienten, Ärzte, Pfleger und der große Chef. Für sie bin ich Preul, also bin ich Preul.«
Humdorf atmete tief durch, befreite sich von einer Last.
»Seelendieb, das ist Ihr Thema, lieber Pastor Sauerbier. Leider kannte ich Sie damals noch nicht.
Seelendieb – war der Leibhaftige nicht ein Seelendieb? Eigentlich stahl der sie nicht, er sammelte jene, die vom Wege abgekommen waren und verwahrte sie als Trophäen seiner Macht über Menschen. Das waren Themen, über die ich mehrere Wochen nachdachte, mich dabei physisch vernachlässigte und irgendwann von einer mitfühlenden Zimmerwirtin in fachärztliche Behandlung übergeben wurde. Wann ich genau ein Zimmer in der Anstalt bekam, kann ich nicht mehr sagen. Mein Zeitgefühl war abgeschaltet, meine Seele drohte ihren Körper zu verlassen, ohne dass ein erlösender Tod Genugtuung verschaffte.
Krampfhaft vermied ich es, auch nur in die Nähe des Zimmers zu kommen, in dem ich Wilhelm Loss getroffen hatte. Mehrere Pfleger fragte ich stattdessen nach Karl Preul. Der sei nicht mehr da, wurde mir versichert. Die einen meinten, er sei verstorben. Andere wollten ihn mit Hut und langem, wehenden Mantel auf der Bundesstraße 6 an der Fahrspur in Richtung Hannover gesehen haben. Er sei wohl entlassen worden. »Geheilt?«, wollte ich wissen. Man schüttelte den Kopf: »Der war unheilbar.«
So war das damals, lieber Pastor Sauerbier.«
Der Gottesmann war sehr nachdenklich geworden. War die Geschichte plausibel? Konnten die Ereignisse einen gestandenen Journalisten aus der Bahn werfen und psychisch krank machen? Sauerbier war nicht überzeugt.
»Wie haben Sie
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