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Totenruhe

Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Jörg Hennecke
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sauer erarbeitete Geld und ihr Besitz geneidet wurde. In unserem Nachbarort Limmer haben die Jüngeren sich vor dreihundert Jahren geängstigt, dass der christliche Glaube an Auferstehung allzu bald in Erfüllung gehen könnte. Dort steht am Eingang des alten Friedhofs:
    ›Hier liget use leiwen Olen,
    Herr, lat se deck sin befohlen!
    Denn wenn se sollden wedder upstahn,
    Müßten wi alle von Hus und Hoff gahn.‹«
    »Plattdeutsch verstehe ich nicht. Sagen Sie es doch gleich in Kisuaheli.«
    Sauerbier schüttelte missbilligend den Kopf. »Mien Gott, hei kann keen Plattdütsch mehr, hei kann us nich verstein. Was habt ihr bloß in der Schule gelernt? Also, das heißt: Hier liegen unsere lieben Alten. Herr, lass sie dir befohlen sein. Denn wenn sie wieder aufstehen sollten, müssten wir alle von Haus und Hof gehen.«
    »Ich sage Ihnen, was wir in der Schule gelernt haben. Dass es Probleme mit den Alten immer und überall gegeben hat. Rückständige Kulturen neigten zu eigenwilligen Lösungen: Die Alten wurden aufgegessen oder ohne Gehhilfe und Brille in einem kargen Gebirge ausgesetzt. Ganz Verstockten nahm man dann noch das Hörrohr, damit das Heulen der Wölfe die vordergründige Absicht nicht zu frühzeitig offenbarte. Aber trösten Sie sich, lieber Pastor, das hat mit Linden nichts zu tun. Auf dem Lindener Berg heulen seit Jahrhunderten keine Wölfe.«
    »Würden Sie Oma Kasten auch so frech ins Gesicht reden?«, wollte Sauerbier wissen.
    »Die redet nicht dauernd über Alter und Sterben.«
    »Aber sie handelt danach. Ganz in Schwarz auf dem Friedhof. Sie ist eine von den unheimlichen schwarzen Witwen, die ihre Männer zu Tode gepflegt haben und jetzt das Gleiche mit deren Gräbern tun.«
    »Dazu fällt mir eine merkwürdige Geschichte ein. Stokelfranz hat sie mir erzählt und als Honorar zwei Bier und einen Wodka verlangt.«
    Sebastian Sauerbier wurde ganz Ohr. »Erzählen Sie, dann hat sich Ihre Investition möglicherweise gelohnt.«
    Lindemann war froh über die Wendung der gereizten Unterhaltung. »Nun gut. Auf Ihr Risiko. Also, Oma Kasten hat auf dem Bergfriedhof eine Botschaft direkt von Gott bekommen.«
    Der Pastor staunte. »Das kommt nicht häufig vor.«
    »Die Botschaft war eher eine Zeichnung. Ein seltsames Kreuz.« Lindemann drehte den Bierdeckel um und malte ein Kreuz mit schrägem Querbalken. »Was ist das?«
    Der Pastor zog den Bierdeckel heran und setzte seine Brille ab. Er drehte das Kreuz in alle Richtungen und bemerkte: »Da fehlt was. Wenn man oben drauf das Lothringer Kreuz mit den zwei Querbalken setzt, haben wir das Kreuz der russischen Orthodoxen. Es ist gewissermaßen die untere Hälfte davon.«
    Lindemann verzog das Gesicht. »Das ergibt keinen Sinn. Oma Kasten, Gott und die russischen Orthodoxen? Gibt es keine andere Deutung?«
    Sauerbier dachte nach. »Das könnte auch eine germanische Rune sein. Was aber auch nichts erklären würde. Wie hat Gott diese Zeichnung an Oma Kasten gesendet? Per Internet, Brief …?«
    Lindemann schüttelte unwirsch den Kopf. »Oma Kasten hat kein Internet. Die Zeichnung war an der Friedhofskapelle. Sagt Oma Kasten. Sagt jedenfalls Stokelfranz.«
    Sauerbier dachte an das Satanskreuz an der Kapelle. Aber das sah eindeutig ganz anders aus. Und ein Kreuz wie auf dem Bierdeckel hatte er an der Kapelle nicht finden können.
    »Lieber Lindemann. Da gibt es einen Rentner Rudolf Hirsch in der Dieckbornstraße. Der ist zwar fast blind, hat aber auch ein Kreuz an der Kapelle gefunden. Allerdings ein ganz anderes Kreuz, ein kopfstehendes. Nun nehme ich nicht an, dass Gott unsere Friedhofskapelle zu seinem Briefkasten erkoren hat.«
    »Glaubt der blinde Rentner auch an einen Brief vom Himmel?«
    »Nein. Er glaubt, das sei von Satanisten, die dort schwarze Messen feiern. Für diese Aussage hat ihm jedenfalls eine Zeitung Geld versprochen. Ich habe das Satanskreuz an der Kapelle gesehen, das von Oma Kasten aber nicht. Wie soll man sich das erklären? Immerhin ist die Kasten für mich aus Erfahrung glaubwürdiger als der Hirsch.«
    Lindemann winkte der Bedienung. »Zeit für einen Wodka. Lieber Pastor, es kommt noch doller. Die Story von Stokelfranz ist noch nicht zu Ende.« Lindemann genoss die gespannte Unruhe seines Partners und setzte seine Erzählung erst fort, nachdem sie den Wodka intus hatten.
    »Das Kreuz von Oma Kasten konnten Sie nicht finden, da sie es selbst entfernt hat. Es sei eben nur für sie bestimmt gewesen, so hat sie das wohl begründet. Nun kommt es

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