Totenruhe
Suche nach einem lausigen Freiluftquartier im tiefsten Winter war?
Plausibilität – gehen wir mal davon aus. Wussten Sie, dass Preul ein schwerreicher Mann war? Nein, der hatte nicht mal eben im Lotto gewonnen. Der war seit Jahrzehnten reich, ohne seinen Reichtum in Lebensstandard umzusetzen. Preul besaß ein Originalbild von Franz Marc – sagt Ihnen der was?«
»Maler, ziemlich berühmt und schon ziemlich lange tot. Das macht die Preise in der Kunst«, trug Sauerbier zur Bestandsaufnahme bei.
»Expressionist, so ziemlich das beste, was Deutschland vor hundert Jahren hatte.« Lindemann ließ sich wissensmäßig auch nicht lumpen.
»Sie sind gut, meine Herren, hervorragende Allgemeinbildung. Alles richtig. Franz Marc fiel 1916 vor Verdun. Da war er gerade mal 36. Was hätte der in einem langen Leben noch schaffen können. Hat er aber nicht, also sind seine überschaubaren Werke unbezahlbar. Stellen Sie sich vor: Preul besaß ein Original von Marc!«
»Weiß das der Preul-Experte Humdorf«, wollte der Pastor wissen.
»Ganz sicher«, bestätigte die Heimatforscherin.
»Davon hat er mir in seinem langen Bericht über Preul kein Wort gesagt.«
Die Frau schaute den Pastor durchdringend an. »Macht Sie das nicht stutzig?«
Humdorfs Ansehen sank bei Sauerbier um weitere Punkte. Am schlimmsten war die Schmach auf dem Friedhof, obwohl Humdorf händeringend jede Verantwortung zurückwies.
»Das Bild ist verschwunden. Es ist eine Vorskizze zu Marcs berühmten Roten Rehen. Die haben lange nach dem Tod des Malers die Gemüter erhitzt. Die Nazis sortierten Marc nämlich unter die von ihnen bekämpfte und verbotene ›Entartete Kunst‹ ein. Bilder dieser Kategorie mussten abgeliefert werden. Mit den Roten Rehen passierte das, aber die Vorskizze taucht in keinem damaligen Register auf. Der Besitzer behielt sie, vielleicht konnte er sich das aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung erlauben. Preul war das natürlich nicht. Der war noch ein Kind. Das Bild ist erst später in seinen Besitz gekommen. Ich wüsste gern, wie … und ich kriege das raus.«
Die Bedeutung des Bildes ging den Männern nur unzureichend auf. »Wie ist Preul denn nun zu Tode gekommen«, wollte der Pastor wissen.
»Das ist Ihnen doch bekannt, Preul ist erfroren. Nun gut: Der Schnaps hat ihn schläfrig gemacht. Und den hat er nicht auf dem eiskalten Friedhof getrunken, sondern in irgendeiner warmen Stube. Preul hat nie im Freien übernachtet, so weit man das feststellen konnte. Der hatte immer eine Bleibe bei alten Bekannten. Also hat ihn jemand gut abgefüllt zum Friedhof gebracht, dort ein Bündel mit seinen Klamotten an der Kapelle drapiert und den Mann in den Schnee gelegt.
An dem Abend war besonders starker Schneefall, bedenken Sie das.
Der Teufel hat den Schnaps gemacht. Das ist das Gefährliche am Alkohol im Winter. Man fühlt sich warm und erfriert zur gleichen Zeit.«
»Wer sind denn diese alten Bekannten von Preul? Können die nicht zur Wahrheitsfindung beitragen?« Sauerbier war gespannt.
»Einen müssten Sie ziemlich gut aus Ihrer Bürgerinitiative kennen. Das ist der Steinmetz Fritz Sellner.«
»Sellner, der Motorradfreak?« Sauerbier staunte. Das hätte er seinem Mitstreiter nicht zugetraut. Andererseits, wenn einer mit 70 noch eine Harley-Davidson fährt, müsste man ihm wohl einiges zutrauen. »Sellner ist ein ehrenwerter Mann«, befand Sauerbier spontan.
»Ich habe ihn auch nicht als Verdächtigen ausgemacht. Aber fragen Sie den doch mal nach Preul, das könnte nicht schaden. Oder soll ich das tun?« Simone Witte zog die Augenbrauen hoch und wusste, dass ihr Hieb gesessen hatte.
»Woher wissen Sie das mit Sellner?«
»Er hat es mir selbst erzählt, als ich in seiner Werkstatt war. Der bearbeitete mit einem Gesellen gerade einen Grabstein für Karl Preul. Ich dachte mir, dass der nicht vom Sozialamt bestellt wurde.«
»Den spendiert also Sellner?«
»Das ist denkbar.«
Lindemann mischte sich ein. »Eine Frage: Das Sozialamt besorgt die Beerdigung von Preul, obwohl der dank eines gefallenen Malers stinkreich war? Wie reimt sich das zusammen?«
Simone Witte zuckte die Schultern. »Preul hat kein Vermögensverzeichnis und kein Testament hinterlassen. Der galt von Amts wegen als obdachlos und arm. Fragen Sie Sellner, ob er für den Stein eine Bezahlung in Aussicht hat.«
31.
Stoll blätterte in seiner Akte. Rauschgiftumschlagplatz Hannover – oder gar Linden? Natürlich wurde an jeder zweiten Ecke Rauschgift
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