Totenruhe
schüttelte den Kopf. Nein, er sei nur für die Urnen zuständig, schließlich sei er kein Totengräber.
» Wir müssen endlich davon weg, alles nur unter Kostengesichtspunkten zu betrachten. Geiz ist ungeil wie nur etwas. Der Glaube an die Auferstehung und Friedhofskultur – ja, hier geht es um ein Stück unserer Kultur. Hier geht es um Heimatverbundenheit und Gedenken an jene, deren Nachfolger wir sind. Wer seine Vorfahren unbedingt zu Dumpingpreisen entsorgen will, tut das längst im Umland oder gar im Ausland. Aber wir Lindener haben ein hochentwickeltes Heimat-Bewusstsein, da schmerzt es die Seele, dereinst in der Ferne verscharrt zu werden, nur weil das ein paar Euro billiger ist. Also, Politiker und Verwaltung, macht das Tor auf, lasst den Bergfriedhof wieder Friedhof sein! Der Herrgott schaut auf euer Handeln. «
Etwa zwanzig Gleichgesinnte flankiert von Presseleuten setzten sich in Bewegung, bogen auf dem Friedhof rechts ab und passierten den Friedensengel. Fünfzig Meter entfernt war das anvisierte Feld, es lag in Sichtweite der Kapelle. Neben dem Feld stand eine Bank. Und – Sauerbier traute seinen Augen nicht – auf der saß in legerer Haltung, die Beine überschlagen, Robert Humdorf. Er zeigte mit einer Leidensmiene auf die Mitte des Feldes. Dort war ein hölzernes Kreuz eingepflanzt und davor befand sich eine zwei Meter tiefe Grube. So schachteten Totengräber für die Beisetzung eines Sarges.
»Humdorf, was ist das?« Sauerbier war außer sich. Die Presseleute drängten sich um die Grube und nahmen das Kreuz ins Visier. Humdorf hob bedauernd beide Hände. »Ich habe keine Ahnung. Als ich vor einer halben Stunde kam, war das schon so. Ich habe nichts gemacht und auch nichts verändert.« Der Pastor starrte in die Tiefe. Da war sehr sauber gegraben, die Grube war absolut leer. Völlig verwirrt schaute Sauerbier auf das Kreuz. Es war kein christliches Kreuz, denn es hatte den schrägen Querbalken der Nauthiz.
Die Presseleute drängten sich um Sauerbier. »Gehört das zu Ihrer Aktion? Was bedeutet das Kreuz? Wieso lassen Sie eine Grube für einen Sarg ausheben und demonstrieren hier mit Urnen?«
Der Pastor konnte es nicht fassen. Er stammelte. »Das gehört nicht zum Programm. Irgendjemand ist immer etwas schneller als ich …« Er wurde laut. »Ihr Schlangen, ihr Otterngezücht! Wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen?«
»Oh, Herr Pastor.« »Nichts Pastor. Matthäus 23, Vers 33.«
»Wollen Sie die Polizei rufen?« Ein anderer Reporter lachte laut. »Dann wird er selbst verhaftet. Seine ganze Aktion ist nicht legal.« »Dann rufen wir eben den Kriminalpsychologischen Dienst«, schlug der Erste scherzhaft vor, »dann kommt Pastor Sauerbier auf beiden Seiten zum Einsatz.«
Der Verspottete nahm Humdorf ins Visier. Lindemann hatte ihn vor dem Mann gewarnt. Er sollte mehr auf seinen Freund hören. Wenn Humdorf ihm diese Aktion vermasselt hatte, konnte er das ausgehobene Grab schon einmal für sich in Anspruch nehmen. Das würde er ihm nie verzeihen. Kein Wunder, dass dem die Frau durchgebrannt war.
Einer der Anwesenden hätte Humdorf entlasten können. Der wusste, dass dieses Grab eine Drohung war, bestimmt für ihn ganz persönlich. Die Absender der Drohung blieben im Dunkeln. Ihre Mail war vermutlich in einem Internet-Cafe an der Limmerstraße geschrieben worden. Auch hier hatten die Unbekannten mit einem Zeichen signiert, der germanischen Rune N.
Polizei und Friedhofsverwaltung ließen sich nicht sehen. War ihnen die illegale Aktion egal oder wollten sie die Bürgerbewegung des Pastors Sauerbier einfach ins Leere laufen lassen? Lindemann fehlte, der leistete pflichtgemäß Dienst in seinem Amt. Sauerbier fühlte sich schlecht.
»… und Müllers Esel das bist du« murmelte er anstelle eines wohlangebrachten Gebets, weil es ihm gerade so einfiel.
30.
Simone Witte strahlte. Sie hatte sich mit Sauerbier und Lindemann im Stern getroffen, was die Männer unter normalen Umständen schon allein glücklich gemacht hätte. Aber Sauerbier knabberte an seiner Niederlage auf dem Friedhof und Lindemann befürchtete, als Beamter in die Fallstricke des Kampfes gegen die nebengeordnete Behörde Friedhofsverwaltung zu geraten. Weltkrieg muss es heißen, nicht Erster Weltkrieg, dachte er. Man muss sehr genau hinschauen, um keinen Fehler zu machen.
»Das Geschäft mit Stoll ist prächtig gelaufen, meine Herren. Sie sorgen sich um die keimfreie Schnapsflasche des Herrn Preul, der auf der
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