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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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raus. Er machte sich sicher Sorgen …
    Sinnlos, jetzt daran zu denken, sagte ich mir. Mir war schwummrig, aber die kalte Luft trug dazu bei, dass ich einen klaren Kopf bekam.
    »Irgendeine Ahnung, wo wir sind?«
    »Nein.«
    »Irgendwo im Haus?«
    »Es hat einen großen Keller«, sagte er. »Vielleicht sind wir da. Nein - warte mal. Der Keller ist mit Linoleum ausgelegt.«
    Wir beschlossen, um Hilfe zu rufen, und brüllten ein paarmal. Hinterher tat mir der Kopf noch mehr weh als zuvor.
    »Wir könnten weiß Gott wo sein«, sagte Max. Seine Stimme klang seltsam und irgendwie schläfrig.
    »Ich versuche mal, zu dir rüberzukriechen.«

    Ich bewegte mich langsam und nicht besonders kontrolliert. Jetzt war ich mir sicher, dass der Boden unter mir aus Beton war, denn für Marmor war er zu rau. Er fühlte sich an wie ein kalter, feuchter Gehsteig.
    Irgendwann verlor ich die Orientierung und wusste nicht mehr, wo Max in der Finsternis lag. »Sag noch mal was«, bat ich ihn.
    »Was?«
    »Bist du am Einschlafen?«
    »Ich muss ein bisschen weggedämmert sein.«
    Das reichte, damit ich ihn finden konnte. Mehr oder weniger. Ich fand seine Schuhe mit meinem Gesicht. Er erschrak genauso wie ich.
    »Okay, ich arbeite mich mal zu deinen Händen hoch. Liegst du jetzt auf der rechten Seite?«
    Das überforderte ihn kurzzeitig, ehe er meine Frage bejahte.
    Mir fiel wieder ein, dass seine Hände mit Isolierband auf dem Rücken gefesselt waren, genau wie meine jetzt auch. Es dauerte eine Weile, aber schließlich konnte ich mich so positionieren, dass wir Rücken an Rücken dalagen. Er musste erneut das Bewusstsein verloren haben oder eingeschlafen sein, als ich an seinen Händen anlangte. Mir fiel noch eine schreckliche dritte Möglichkeit ein, und so rief ich seinen Namen.
    »Was? Hä? Oh … Irene?«
    »Versuch, wach zu bleiben, Max. Ich glaube, du hast eine Gehirnerschütterung. Sprich mit mir, während ich versuche, das Klebeband von deinen Händen abzubekommen.«
    Und so redete er, während ich an seinen Händen herumfummelte und versuchte, eine Kante oder ein Ende des Isolierbands zu fassen zu kriegen. Seine Handgelenke waren wesentlich fester gefesselt als meine. Mir fiel auf, dass seine Armbanduhr fehlte, und erst da begriff ich, dass meine auch weg war. Während ich mich abmühte, ihn zu befreien, erzählte er
mir von Estelle, seiner Adoptivmutter. Er erzählte mir von der Militärschule und seiner Freundschaft mit dem Sohn eines dortigen Lehrers, einem Jungen, der auch dort zur Schule ging, und davon, wie die Familie dieses Jungen ihn praktisch in ihren Schoß aufgenommen hatte. Seine Stimme blieb die ganze Zeit schläfrig. Während ich das Klebeband langsam abfieselte - was nicht so leicht war, wie es im Fernsehen immer aussieht -, beschwor ich ihn weiterzureden. Immer wieder merkte ich, wie er wegdämmerte, dann zerrte ich ein bisschen unsanfter daran, und er sprach weiter. Ich fragte mich schon, ob er wohl ohnmächtig würde, sobald ich seine Hände befreit hatte, und außerstande wäre, mir zu helfen.
    Doch als dieser Moment kam, war er wach und ziemlich klar. Ich hörte ihn in der Dunkelheit ausatmen. »Danke«, sagte er. Es dauerte eine Weile, bis die Blutzirkulation in seine Finger zurückgekehrt war. Mitsamt seiner Kopfverletzung musste das ziemlich schmerzhaft sein, doch er klagte nicht. Er rollte sich zu mir her und versuchte, mich zu befreien, sobald sich die Taubheit in seinen Fingern gelegt hatte.
    Er brauchte nicht ganz so lang, um den Gefallen zu erwidern, aber zweifellos länger, als es der Fall gewesen wäre, wenn er nicht verletzt gewesen wäre. Einen Moment lang genoss ich das Nachlassen der Spannung in Schultern und Rücken, dann machte ich mich an dem Klebeband um meine Knöchel herum zu schaffen und half Max, auch seine Beine zu befreien.
    Wir knieten uns auf den harten Boden, wobei wir dicht nebeneinander blieben und uns zuerst an den Schultern festhielten, um uns gegenseitig zu stützen. Ohne zu sprechen, umarmten wir uns in der Finsternis und hielten uns aus reiner Erleichterung fest. Er fühlte sich stark und warm und gut an, und ich musste daran denken, wie viel schlimmer das alles gewesen wäre, wenn ich es allein hätte durchstehen müssen.
    »Alles in Ordnung?«, fragte er.
    Ich nickte gegen seine Schulter. »Ja, und bei dir?«

    »Ganz okay so weit.«
    »Schwindlig?«
    »Ein bisschen. Seltsames Gefühl in der Finsternis.«
    »Ich glaube nicht, dass sie uns weit weggebracht haben. Ich rieche immer

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