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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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paar Gruppenaufnahmen dazuzusetzen.
    Diese Bilder gefielen mir am besten, obwohl es keine Veranlassung gab, den Artikel mit einem Bild von Helen zu illustrieren. Doch die drei sahen aus, als fühlten sie sich wohl miteinander, und beim Betrachten der Aufnahme stieg in mir die Hoffnung auf, dass hier nicht die Biologie das letzte Wort sprechen, sondern Max unabhängig davon mit diesen beiden Frauen verbunden bleiben würde. Ich nahm Stephen das Versprechen ab, mir Abzüge von den Aufnahmen zu machen.
    Zusätzlich hatten wir andere Illustrationen zur Hand, darunter auch welche, die veranschaulichten, wie eine DNA-Untersuchung funktionierte. Hailey schrieb einen Artikel dazu.
    Schließlich gelangten wir an den Punkt, an dem wir alles hatten außer der Geschichte an sich. Auf die mussten wir noch warten. Es war ein bisschen, als versuchte man in der Poleposition ein Nickerchen zu machen.
     
    Wrigley führte alle paar Tage kleine Gruppen potenzieller Käufer durch die Redaktionsräume. Die Gerüchte überschlugen sich. Jeder Unbekannte, der nach oben kam, wurde zum Gegenstand wilder Spekulationen und vonseiten gewisser Kollegen mit einer Art schmachtender Aufmerksamkeit bedacht, die wir anderen widerlich fanden. In der Vorwoche bekam ein Mann mit einer Aktentasche einen bequemen Sessel sowie eine Tasse Kaffee angeboten, was er beides gerne annahm, während die Schleimer um ihn herumscharwenzelten und ihn nach seiner Meinung über die Zeitung ausfragten. Das zog sich etwa fünfzehn Minuten so hin, bis er fragte, ob es recht sei, wenn er jetzt den Kopierer reparierte, weil er nämlich noch andere Termine habe.
     
    Als ich eines Abends noch spät am Arbeiten war, klingelte mein Telefon. Ich nahm den Hörer ab und sagte: »Kelly.« Langes
Schweigen und ein Klicken waren alles, was ich zu hören bekam.
    Solche Vorfälle begannen sich zu häufen, bis ich dazu überging, abendliche Anrufe stets von meiner Voice-Mail entgegennehmen zu lassen.
     
    Ich ackerte mich weiter durch O’Connors Tagebücher. Nachdem ich seinen Artikel über Harmon gelesen hatte, ging ich gleich zu den Tagebüchern von 1945 über.
    Zwischen den Seiten der ersten Aprilwoche klemmte ein Foto. Darauf waren eine junge Frau und ein junger Mann zu sehen. Ich erkannte O’Connor sofort, obwohl das Bild gemacht worden war, bevor man ihm bei irgendeiner Kneipenschlägerei die Nase gebrochen hatte. Noch etwas an ihm war anders. Vielleicht war es der Hut. Sie trugen beide ihren Sonntagsstaat, standen Arm in Arm da und schienen sich miteinander wohl zu fühlen. Auf die Rückseite hatte eine weibliche Hand geschrieben: »Conn und Maureen - Ostern 1945«. Die Schrift seiner Mutter vermutlich. Die Tagebücher waren jeweils Weihnachtsgeschenke von Maureen gewesen, die sie ihm mit einer launigen Bemerkung gewidmet hatte. Mehrmals bat sie ihn darin, sich doch bitte freundlich an seine unbedeutende Schwester zu erinnern, wenn er erst ein berühmter Reporter geworden war. Mittlerweile kannte ich ihre Handschrift.
    Die Gesichtszüge, die ihren Bruder attraktiv machten, erreichten bei ihr nicht das Gleiche, doch sie war trotzdem alles andere als unansehnlich. Ihr Gesicht strahlte Herzlichkeit aus, aber vielleicht interpretierte ich das auch nur hinein, weil ich die Charakterbilder gelesen hatte, die ihr Bruder über sie verfasst hatte. Sie trug ein schlichtes Kleid und einen ebensolchen Hut. Ihr einziger Schmuck war eine einfache Halskette mit einem silbernen Kleeblatt. Sie hatte dunkle Haare, und ihre großen Augen blitzten vor Schalkhaftigkeit. Sie lächelte, und es wirkte, als ginge ihr Lächeln gerade in ein Lachen über.

    Ich warf noch einen Blick auf O’Connors Konterfei und sah, dass auch er beinahe lachte. Das war es also, darin bestand der Unterschied - ich hatte ihn lachen sehen, und ich hatte ihn lächeln sehen, doch ich hatte ihn nie so fröhlich gesehen wie auf diesem Foto.
    Es gab nur einen Eintrag nach dem fünften April, der ganz seinen Plänen für einen Abend mit Ethel Gibbs gewidmet war. Am sechsten April hatte er geschrieben: »Maureen, bitte sei unverletzt. Es tut mir ja so Leid.« Weitere Einträge aus diesem Jahr gab es nicht.
    Es gab auch keine Tagebücher aus den Jahren zwischen 1945 und 1950.
     
    An dem Mittwoch, an dem die Untersuchungsergebnisse fällig waren, schafften es Frank und ich beide um dieselbe Uhrzeit nach Hause, noch dazu ziemlich früh. Wir wohnen nahe am Strand, wo die Nächte oft kühl sind, und so machte er ein Feuer im Kamin.

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