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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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und der Verkauf von Papiertaschentüchern angekurbelt worden war.
    Eine unerwartete Folge davon war, dass Lydia Ethan nicht
mehr so massiv in Schutz nahm und dadurch letztlich wachsamer wurde. Ich beschloss, ihr zu verschweigen, dass Frank die Harmon-Story übel fand. Nach der Lektüre hatte er lediglich gesagt: »Das ist Schwachsinn; er hat überhaupt nicht so viel Zugang zu Harmon gehabt.«
    Eines Abends unternahm ich einen Abstecher zu ihrem Schreibtisch, ehe ich für den Tag Schluss machte. Ich hatte einige Ratespiele unter O’Connors Unterlagen gefunden, und nun erzählte ich Lydia davon. »Da sind Mittelteile von Artikeln - ohne Überschrift, Einführung oder Reporternamen - ausgeschnitten und auf billiges Papier geklebt worden. Wahrscheinlich hat Jack Konzeptpapier aus der Redaktion mitgenommen. O’Connor hat Namen daneben geschrieben. Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich begriffen habe, was es damit auf sich hat. Jack hat O’Connor Beiträge lesen lassen, ohne dass er wusste, wer sie verfasst hatte, damit O’Connor lernt, den Stil verschiedener Reporter zu unterscheiden.« Ich schüttelte den Kopf. »Er war zehn oder elf Jahre alt und hat die meisten richtig erraten. Ich glaube, das würde ich heute nicht hinkriegen.«
    »Doch, bestimmt«, widersprach sie.
    Sie druckte an ihrem Computer ein paar Artikel aus, die am nächsten Tag erscheinen würden.
    Ich staunte. Zwar musste ich ein bisschen herumrätseln, hatte aber acht von zehn richtig. Zweimal tippte ich daneben - und beide Artikel stammten von Ethan. Weder sie noch ich gaben einen Kommentar dazu ab.
    »Mal sehen, wie du dich schlägst«, sagte ich.
    Es war ein bisschen mühsamer, einen Test für sie zu entwerfen, weil sie schon fast alles gelesen hatte, was abgegeben worden war, und so wartete ich an ihrem Computer, bis ein paar neue Beiträge eingetroffen waren, und fügte noch zwei Ausschnitte aus älteren Artikeln von Ethan hinzu. Ich wählte schwierigere Passagen aus als sie - willkürlich herausgegriffene
Bruchstücke und Absätze, die nicht gleich anhand ihres Inhalts erkennbar waren.
    Auch sie erriet acht von zehn - und auch sie tippte bei Ethan falsch.
    »Was zum Teufel hat das zu bedeuten?«, murmelte sie stirnrunzelnd.
    »Vielleicht ahmt er mit seinem Stil irgendjemanden nach«, sagte ich und hoffte, damit keinen neuen Streit vom Zaun zu brechen.
    »Nein«, erwiderte sie langsam, während sie den Computer alles suchen ließ, was Ethan im vergangenen Monat geschrieben hatte.
    Es war eine ganze Menge Material, doch sie lud rasch zwei kleinere Artikel aus dem Lokalteil auf den Bildschirm. »Siehst du?«, sagte sie. »Diese beiden, die hätte ich sofort als seinen Stil erkannt. Klar und direkt. Ohne jede Übertreibung.«
    Ich gab zu, dass die Beiträge gut geschrieben waren. »Öffne doch mal die Harmon-Story«, bat ich.
    Sie holte sie auf den Bildschirm, und ich las über ihre Schulter mit. Ich hielt zwar den Mund, doch ich war nicht die Einzige, die einen Unterschied zwischen dem Text, den wir jetzt lasen, und dem vorherigen erkannte. Der Stil war ebenfalls klar und direkt, doch enthielt er noch etwas Raffinierteres - eine geübtere Hand, detailliertere Beobachtungen und Wörter, die kraftvollere Bilder hervorriefen. Zwischendurch wurde es immer wieder etwas holprig, doch jedes Mal machte das der nächste Satz wieder wett.
    Lydias Körperhaltung veränderte sich.
    »Den Stil kenne ich - jedenfalls an manchen Stellen«, sagte ich. »Da schreibt nicht nur einer, oder? Und die stärksten Stellen - also, von dem Autor habe ich schon mal etwas gelesen.«
    Sie verschränkte die Arme, lehnte sich zurück und starrte auf den Monitor.
    Ach du Schande, dachte ich, jetzt geht’s wieder los.

    Da legte sie die Hände auf die Tastatur, stellte eine Verbindung zu den Nachrichtenagenturen her und suchte nach Artikeln über Bennie Lee Harmon.
    Nichts davon entsprach den besten Passagen aus Ethans Beiträgen. Dann suchte sie nach exakten Entsprechungen einzelner Sätze aus dem Beitrag. Wieder ohne Ergebnis. »Zumindest das ist eine Erleichterung«, sagte sie. »Einen Augenblick lang habe ich mir schon ausgemalt, wie ich Wrigley beibringen muss, dass wir uns öffentlich entschuldigen und einem anderen Blatt Schadenersatz zahlen müssen, weil wir ihnen eine Story geklaut haben.«
    »Ich glaube, es hatten nicht viele Reporter Zugang zu Harmon«, sagte ich. »Er ist schließlich krank.«
    »Und woher kommt das dann?«
    Ich sah mich um, hielt mir vor Augen, wer

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