Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
Vom Netzwerk:
Erwachsene, die bereit waren, sich
in den Schacht abseilen zu lassen. Brunnenbauer arbeiteten fieberhaft daran, einen zweiten Schacht auszuheben.
    »Kein Ton mehr von ihr seit der ersten Stunde«, sagte ein Streifenpolizist zu O’Connor. »Mein Gott, ich habe auch eine kleine Tochter, die nicht viel älter ist.«
    Neben ihnen sagte ein Mann vom Herald auf einmal: »Was zum Teufel ist das denn?« Sie wandten sich um und sahen Kleinlaster, die mit seltsamen Gerätschaften beladen waren, auf den Unfallort zukommen.
    »Fernsehen«, erklärte ein Reporter von der Times . »KTLA. Die habe ich schon vor zwei Jahren bei dem Feuer in der Galvanisierfabrik drüben in Pico gesehen. Anscheinend werden sie immer versierter.«
    Der Cop und der Mann vom Herald blickten belustigt drein.
    O’Connor nicht. Er dachte über etwas nach, was ihm Jack kürzlich zu lesen gegeben hatte - einen Bericht über das Fernsehen.
    »Das ist nicht zum Lachen, Freunde«, sagte der Mann von der Times . »Vor zwei Jahren gab es gerade mal gut dreihundert Fernsehgeräte in Los Angeles. Wisst ihr, wie viele es heute sind?«
    »Etwa zwanzigtausend«, antwortete O’Connor.
    »Bingo. Klar, dass der Jungspund das weiß. Von welcher Zeitung sind Sie denn?«
    »Vom Express .«
    »Vom Express ? Kennen Sie Jack Corrigan?«
    Für den Rest der langen Stunden dort nahm ihn der Mann von der Times unter seine Fittiche, indem er ihn den anderen vorstellte und ihn so nah ans Zentrum des Geschehens brachte wie möglich.
    Nach fünfzig Stunden hektischer Bemühungen kam die Rettungsmannschaft bei dem kleinen Mädchen an - zum Entsetzen aller, die mitgeholfen, zugesehen oder gewartet hatten,
leider zu spät. Der Coroner sollte später feststellen, dass die Kleine schon kurz nach Beginn der Rettungsversuche gestorben war.
    Als O’Connor zum Express zurückkam, müde, schmutzig und völlig niedergeschlagen, sagte der Leiter der Lokalredaktion missmutig: »Ich weiß nicht, wozu Sie sich die Mühe machen sollen, es aufzuschreiben. Es hat ohnehin jeder im Fernsehen gesehen. Siebenundzwanzig Stunden am Stück, und die Leute, die keinen Fernseher hatten, haben sich im Wohnzimmer ihrer glücklicheren Nachbarn einquartiert. So etwas habe ich noch nie erlebt. Wenigstens hat Jack diesen Aspekt abgedeckt.«
    Nachdem O’Connor seinen Artikel abgegeben hatte, schleppte Jack ihn in eine Bar.
    »Es war verblüffend, Conn«, sagte Jack. »Alle haben sich um den Bildschirm gedrängt und das Gefühl gehabt, als wären sie direkt vor Ort dabei.« Er zog an seiner Zigarette und atmete langsam aus, während er den Kopf schüttelte. »Morgen früh wird die Welt nicht mehr so sein wie zuvor.«
    »Das ist sie nie«, erwiderte O’Connor abwesend. »Ob einem das nun passt oder nicht.«
    Jack musterte ihn. »Was geht dir durch den Kopf, Conn?«
    »Ich habe mir gerade gedacht, dass ich mich über Brunnen in Las Piernas schlau machen will.«
    »Eine Fortsetzung? Na klar. Gute Idee.«
    Seine Aufrichtigkeit ließ O’Connor den Kopf schütteln. »Nein, daran arbeitet schon Ames Hart.«
    »Das hätte ich mir denken können. Auf alles, was irgendwie in Richtung Reform geht, stürzt sich Hart als Erster.«
    »Ich habe mir nur gedacht … weißt du, vielleicht … Maureen«, stieß O’Connor flüsternd hervor.
     
    Ames Hart erzählte O’Connor, dass ein Gesetz geplant war, das Brunnenabdeckungen vorschrieb. Und in etwas sanfterem Ton fügte er hinzu, dass keiner der aufgelassenen Brunnen in
Las Piernas breit genug war, um eine erwachsene Frau hineinstürzen zu lassen.
    O’Connor wartete auf den nächsten April.
     
    Der April 1950 war ein seltsamer April - kälter als sonst. Ein halber Zentimeter Schnee fiel in Los Angeles und auch in Las Piernas. Das hätte die größte Geschichte von lokaler Bedeutung in diesem April werden können, hätten nicht Arbeiten in einer frostgeschädigten Orangenplantage drei Leichen zutage gefördert.
    Maureen O’Connor, Anna Mezire und Lois Arlington wurden nun nicht mehr vermisst.

9
    Am Abend nach Maureens Beerdigung betrank sich O’Connor bis zur Besinnungslosigkeit. Als er am nächsten Morgen aufwachte, lag er neben einer Frau, die für seinen Geschmack besser aussah, als er es eigentlich erwarten durfte. Er blickte sich um, stellte fest, dass er in seiner eigenen Wohnung war, und starrte an die Decke, während langsam die Erinnerung an den Vorabend zurückkehrte - daran, wie er zusammen mit Corrigan das Haus seiner Eltern verlassen hatte, in eine Bar gegangen

Weitere Kostenlose Bücher