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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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beizubringen war das Dümmste, was ich je getan habe«, schimpfte Jack, als sich O’Connor wieder unter Kontrolle hatte, »weil du deine Freunde nicht von deinen Feinden unterscheiden kannst.« Doch nach diesem Tag machte Jack nie wieder eine Bemerkung über das Kind.

    In keiner anderen Angelegenheit hielt O’Connor seine Gedanken so vor Jack geheim. Alles, worüber sie sich sonst uneins waren, wurde offen ausgetragen - nur dieser Konflikt nicht. Er wusste, dass dies zum Teil daran lag, dass er seine Gefühle gegenüber Vera und dem Jungen selbst nicht verstand. Er wusste nur, dass er beim Gedanken an Vera immer an das dachte, was in ihrer Gegenwart geschehen war - wie sie ihn getröstet hatte, als er weinte, aber häufiger noch an diesen Moment bei Big Sarah’s, als er sich so ruhig gefühlt hatte -, und dass er danach irgendwie nie mehr Angst gehabt hatte, Maureens Geist könne enttäuscht von ihm sein. Er kam zu dem Schluss, dass er, selbst wenn Vera ihm an diesem Tag gesagt hätte, sie brauche seine Hilfe, weil sie von einem anderen Mann schwanger war, keine andere Entscheidung getroffen hätte.
     
    1956, vor zwei Jahren, hatte sie die Scheidung eingereicht. Erstaunt hatte er festgestellt, wie sehr ihn das deprimierte. Eine Forderung nach Kindesunterhalt war nicht gekommen.
    Die Arbeit bei der Zeitung hatte ihn gelehrt, wie man Informationen über jemanden beschaffte. Mithilfe von Leuten, die ihm einen Gefallen schuldig waren, hatte er in Erfahrung gebracht, wie der Mann hieß, den sie heiraten wollte, und was er für eine Vergangenheit hatte. Er fand nichts Beanstandenswertes. Allem Anschein nach behandelte der Mann Kenneth wie seinen eigenen Sohn. O’Connor unterschrieb die Papiere. Seitdem hatte er von Vera kein Wort mehr gehört.
    Im selben Jahr musste sich Winston Wrigley II., der Sohn des Gründers von Wrigley Publications - der inzwischen halb im Ruhestand war -, mit etwas auseinander setzen, was Zeitungsverlegern im ganzen Land zu schaffen machte: Amerikaner, die sich früher darauf gefreut hatten, nach der Arbeit die Abendzeitung zu lesen, freuten sich nun auf die Fernsehnachrichten. Die Nachrichten bekamen sie von Männern hinter Schreibtischen laut vorgelesen. Nachrichtenreporter standen
nun vor Kameras statt hinter ihnen - Huntley, Brinkley, Cronkite. Die Auflage des Express sank, und es bestand keine Veranlassung, daran zu glauben, dass sie je wieder steigen würde.
    Die News und der Express sollten zu einer Morgenzeitung zusammengeschlossen werden - dem Las Piernas News Express.
    Winston Wrigley II. war bei den Belegschaften beider Blätter beliebter als sein Vater. Obwohl die Familie reich war, hatte sein Vater darauf bestanden, dass er das Handwerk von der Pike auf lernte, indem er sich vom Zeitungsjungen über den Redaktionsgehilfen und den Reporter zum Chefredakteur hocharbeitete. Zusätzlichen Respekt erntete er bei den Mitarbeitern dadurch, dass er offen über die Einstellung der Abendausgabe sprach, so viele Leute wie möglich im Verlag behielt und alles in seiner Macht Stehende tat, um für die anderen neue Stellen zu finden. O’Connor erinnerte sich an allabendliche Abschiedsfeiern im Press Club, der Bar gegenüber dem Zeitungsgebäude. Helen Swan erklärte es für ein Wunder, dass eine so enorme Schar Betrunkener es immer wieder hin und zurück über den Broadway schaffte, ohne dass wenigstens ein paar Versprengte platt gefahren wurden.
    O’Connor war überzeugt gewesen, dass er seinen Job verlieren würde. Winston Wrigley II. behielt ihn. Als einer der älteren Reporter darüber meckerte, erklärte Wrigley: »O’Connor steht seit 1936 auf unserer Gehaltsliste.«
    »Als Zeitungsjunge!«, entgegnete der Reporter und lief rot an, als er seinen Fehler begriffen hatte.
    »Man weiß nie, wie hoch ein Zeitungsjunge in der Branche aufsteigt«, gab Wrigley gelassen zurück. Wie sein Vater hob er nur selten die Stimme.
     
    O’Connor fuhr ruckartig in die Höhe und musste feststellen, dass er trotz seiner Entschlossenheit in Jacks Krankenzimmer eingeschlafen war. Seine Uhr zeigte kurz nach elf.

    Auch Jack schien langsam aufzuwachen, und diesmal rief O’Connor wie versprochen die Schwester. Als sie gegangen war, murmelte Jack etwas, und O’Connor trat näher heran, um ihn zu verstehen.
    »Jetzt wo die Zuckerpuppe ihre Pflicht getan hat, kannst du mir ja reinen Wein einschenken.«
    »Du nuschelst ganz schön, aber zum Glück bin ich so daran gewöhnt, dir zuzuhören, wenn du getankt

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