Totenschleuse
ihn mit einem von Widersprüchen gespickten Wortschwall übergoss, hatte sie etwas verschwiegen. Er würde herausbekommen, was es war. Er wischte sich in einem unbeobachteten Moment die Nasenspitze ab.
Malbek hatte darauf bestanden, dass sie gemeinsam mit seinem Wohnmobil nach Sylt fuhren. Hilly und Lüthje hatten freudig zugestimmt, Jette und Hilly hatten es sich auf der Sitzbank gemütlich gemacht.
Bei der Verladung auf den Autozug in Niebüll hatte es angefangen, heftig zu stürmen, und auf dem Hindenburgdamm schwankte das Wohnmobil, als könne es sich nicht entscheiden, ob es sich nach links oder rechts direkt in die katzenköpfig aufgewühlte Nordsee stürzen wollte. Jette hatte ausführlich geschildert, wie ein kleiner Transporter von der Größe dieses Wohnmobils vor gar nicht so langer Zeit bei einem Sturm wie diesem vom Zug geweht worden war, nur weil man vergessen hatte, das Fahrzeug auf dem Autowaggon zu befestigen. Der Fahrer war getötet worden. Sie hatte den Bericht und einen viel beachteten Kommentar geschrieben. Wie als Antwort schlug eine Böe hart auf die Karosserie, und Hilly hatte geschrien: »Shut up!«
Lüthje hatte vermittelnd vom Beifahrersitz aus darauf hingewiesen, dass Malbek dabeigestanden hätte, als die Bahnarbeiter die Metallklammern angebracht hatten. Jette fragte, woher er, Lüthje, das wisse, da er doch die ganze Zeit nur unbeteiligt auf dem Beifahrersitz gedöst habe. Das war für Hilly der Gipfel der Unverschämtheit. Was denn nun Eric damit zu tun hätte, Jette solle doch lieber vor ihrer eigenen Haustür fegen. Hilly flüchtete aus der Sitzbank, legte sich auf die hintere Koje und schloss die Augen.
Malbek sagte, dass der Sturm bald nachlassen würde, er hätte sich die Profiwetterkarten im Internet angesehen. Außerdem fahre der Zug doch nur im Schritttempo. Die Überfahrt aber würde etwas länger dauern.
Er schob eine beruhigende CD in den Player, drehte die hinteren Lautsprecher auf und erzählte Lüthje von seinen bisher unergiebigen Ermittlungen und dem Gespräch mit Schackhaven.
»Du musst unsere Vorgesetzten verstehen«, sagte Lüthje und grinste. »Die Sache hat Delikatesse. Ein Seemann der traditionsreichen Reederei Axel Molsen wird am NOK ermordet, und die Marine machte in der Nähe irgendwelche obergeheimen Messungen. Wahrscheinlich ist es Zufall. Aber es ist delikat. Es hat so ein … ein Gschmäckle, so sagt man doch südlich von Hannover, oder? Nach Spionage, nach Verrat, internationalen Verwicklungen, Zuständigkeitsproblemen und so weiter. Aber ich weiß ja, dass dir solche Feinheiten egal sind.«
»Schön wäre es natürlich, den genauen Zeitpunkt des Mordes zu wissen, den Schuss zu hören. Damit würde sich manch schwammiges Alibi in nichts auflösen.«
»Bist du sicher, dass nur ein Schuss gefallen ist? Ach, schlag dir das aus dem Kopf. Die Kenntnis des genauen Zeitpunkts des tödlichen Schusses erspart einem nicht das vollständige Ausermitteln des Falles. Ich habe da so meine Erfahrungen machen müssen. Falls du einen Spezialisten brauchst, denk an Frerksen vom LKA. Ich hab seine Privatnummer.«
»Ich glaube, du hast auch einen fürchterlichen Hunger.«
»Wie kommst du darauf?«
»Dein Wortschatz ist so eigenartig. Delikatesse und Gschmäckle …«
»Das macht die Nordseeluft.«
Als Malbek das Wohnmobil vom Sylt Shuttle steuerte und in die Straße Richtung List einbog, stieß Hilly einen lauten Seufzer der Erleichterung aus. Malbek sah im Rückspiegel, dass Jette ihr kurz die Hand drückte.
Jette lotste Malbek mit detaillierter Ortskenntnis auf Nebenstraßen zur Listlandstraße, auf der sie freie Fahrt hatten.
»Guck mal, da gibt es alte Fischbrötchen!«, rief Lüthje. An einer fahrbaren Imbissbude am Lister Hafen stand mit aus Muscheln gebildeten Schriftzeichen weithin sichtbar: »Food-Outlet«.
»Es syltet mächtig gewaltig«, sagte Lüthje.
Jette kicherte. »›Syltet Sild‹ ist Dänisch und heißt ungefähr ›Hering in Sülze‹. Aber mehr flüssige Sülze, mit viel Zwiebeln und Gewürzen.«
»Wenn man etwas Gelatine dazugibt und kalt werden lässt, erstarrt es. Wie eine Leiche. Oh Gott, was rede ich da.« Hilly presste sich die Hand vor den Mund.
»Hier hat alles Stil!«, rief Lüthje unternehmungslustig nach hinten.
Die Lister Galerie »Kompass« befand sich in einem scheunenartigen Gebäude, das an einen Gasthof angebaut war, beides mit dem auf Sylt unvermeidlichen Reetdach. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite fand
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