Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
wollte zuerst wissen, wo Simone war. Bei ihrem Vater in München, sagte Lukas, und dass sie bis jetzt noch nichts von der Entführung ihrer Mutter wisse. Er empfahl Claudia, bis morgen mit dem Anruf zu warten. Wenn sie emotional stabiler sein würde.
Nachdem Lukas seine Tochter in den Arm genommen und lange an sich gedrückt hatte, ließ er Claudia mit Wallner allein. Wallner setzte sich ans Bett, auf Claudias rechter Seite mit dem gesunden Arm. Außer dem Gips hatte Claudia etliche Kratzer im Gesicht, die von Ästen herrührten, die sie in der Dunkelheit bei der Flucht durch den Wald nicht gesehen hatte. Über der Platzwunde an der Stirn, die sie sich beim Absturz des Volvo zugezogen hatte, klebte ein Pflaster.
»Ich seh furchtbar aus, stimmt’s?«
»Na ja«, sagte Wallner. »Wenn ich ehrlich sein soll – vorher war’s natürlich hübscher. Diese ganzen Kratzer im Gesicht, und das Pflaster erst. Aber mit so was sieht jeder ein bisschen debil aus.«
Claudia boxte ihn mit der freien Hand in die Seite. »Sag sofort, dass ich auch in diesem Zustand bezaubernd aussehe.«
Wallner nahm ihren Arm. Er war weich und ein wenig kalt, weil er auf der Decke lag. »Warum soll ich das sagen? Nimm’s als Zeichen, dass ich nicht nach Äußerlichkeiten gehe. Weißt du, dass ich mir ziemlich große Sorgen gemacht habe um dich?«
»Wie große?«
»Sehr große. Es hätte ein Riesenloch in mein Leben gerissen, wenn ich dich verloren hätte. Und deshalb bin ich so froh, dass du wieder da bist. Ein bisschen beschädigt. Aber du siehst natürlich immer noch aus wie eine Göttin.« Er gab ihr einen langen Kuss. »Dein Vater findet übrigens, ich wär erwachsener als du und dass wir gut zusammenpassen.«
»Hast du bei ihm um meine Hand angehalten?«
»Er hat das Thema selbst drauf gebracht. Wir haben es wohl nicht besonders gut verheimlicht.« Er streichelte über ihr Gesicht und die kleinen Kratzer auf ihrer Haut und über ihren Liza-Minnelli-Mund. »Ist noch Platz unter der Decke?«
»Ja. Komm!«, sagte Claudia und hob die Bettdecke hoch.
»Ich bin nass und verschwitzt«, sagte Wallner. »Ich sag’s lieber vorher.«
»Komm endlich!«
Wallner zog seine Schuhe aus und schlüpfte unter ihre Decke. Sie holte den schweren Gipsarm von der anderen Seite und legte ihn auf Wallners Bauch. Ihren Kopf legte sie auf seine Brust und schloss die Augen. Nach ein paar Sekunden ging ihr Atem ruhig und entspannt. Kurz danach schlief auch Wallner ein.
63
Z iemlich früh am Morgen wurde Wallner aus Claudias Bett gescheucht. Der Pflegedienst musste seinen Geschäften nachgehen. Wallner verabschiedete sich mit einem langen Kuss und dem Versprechen, Claudia hier rauszuholen.
Als Wallner, nachdem er zu Hause geduscht und sich umgezogen hatte, ins Büro kam, waren nur wenige Kollegen da. Es war Samstag, und einige Kollegen, die wegen der Entführung bis spät in die Nacht gearbeitet hatten, schliefen ein paar Stunden länger. Lukas war bereits da und informierte Wallner über den Stand der Dinge.
Beide Entführer waren vorbestraft. Niklas Wagner mehrfach wegen schwerer Körperverletzung, Makis Karides nur wegen einer länger zurückliegenden Drogengeschichte. Nichts Schwerwiegendes. Offenbar war Karides schlauer als andere und hatte sich nicht erwischen lassen. Er war bei Endorfer als Geschäftsführer angestellt. Es war klar, dass die beiden in Endorfers Auftrag gehandelt hatten. Allerdings verweigerten sie bislang die Aussage. Endorfer selbst war untergetaucht. Er hatte wohl den Braten gerochen und kurz nach Makis Karides das Cabaret Beverley verlassen. Seitdem hatte ihn keiner mehr gesehen.
Lukas bezweifelte, dass Karides und sein Mittäter wussten, warum sie Claudia entführt hatten. Endorfer war Profi genug, um seine Leute nicht mit solchen Informationen zu belasten. Mit anderen Worten: Man würde Kieling nichts nachweisen können. Außer, Endorfer würde gefasst. Zu diesem Zweck hatte Lukas heute einen Termin mit Zielfahndern des LKA in München.
Zwei Beamte waren in Bad Tölz, um den dortigen Kollegen bei der Spurensicherung zu helfen, zwei weitere Kollegen waren in München, um sich über den Stand der Ermittlungen zu informieren. Höhn hatte mit der Staatsanwaltschaft in München telefoniert und sie darüber in Kenntnis gesetzt, dass Claudia verletzt war. Ein anderer Staatsanwalt würde den Fall übernehmen. Es galt jetzt nur noch, die Anklage gegen Kieling wasserdicht zu machen und möglichst ein Geständnis von ihm zu bekommen. Er
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