Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
Klicken des Benzinfeuerzeugs, eine kleine Stichflamme, blauer Rauch quoll aus dem großen Mund. Ein zweites Klicken, als der Feuerzeugdeckel zuklappte.
»Der Mann hat an gestauchten Knöchel gehabt. Der war fluchtunfähig. Normal wär der nie von dem Berg runtergekommen.«
»Wieso um alles in der Welt haben Sie den Mann überhaupt auf den Hirschberg geschleppt und gegen jede Vorschrift Ihren Dienstposten verlassen?«
»Ich hab mir denkt, dass wenn ich mit dem Tatverdächtigen in einem – wie sagt man – in so am Umfeld bin, also entspannt praktisch, net? Alkohol halt. Also wenn mir was trinken, dass er Informationen zum Tathergang, äh, preisgibt.«
»Lassen wir mal außer Acht, dass ich noch nie im Leben so einen Schwachsinn gehört habe: Wäre es nicht einfacher gewesen, ein paar Flaschen Bier zu holen?«
»Nein. Das wär nicht einfacher gewesen. Erstens ist ja in der PI kein Alkohol erlaubt. Und zweitens aus Kostengründen.«
»Kostengründe?«
»Bis der geredet hätte, da hätt ich zwanzig Mark Minimum investieren müssen. Auf’m Hirschberg ham s’ gestern Abend a Pauschale gehabt. Zehn Mark, all you can drink. Man muss schon auch an den Steuerzahler denken.«
»Wenn Sie das bei der Buchhaltung einreichen, sperr ich Sie eigenhändig ein.« Rauch quoll Lukas aus Mund und Nase. »Den Unsinn können Sie Ihrem Vorgesetzten erzählen. Ich rate Ihnen aber, es nicht zu tun. Er könnte den Eindruck gewinnen, Sie wollten ihn verarschen. Tatsache ist: Sie sind mit einem Inhaftierten zum Saufen gefahren. Bei der Aktion hat der Mann fünfzig Menschen als Geiseln genommen und einen davon schwer verletzt, um anschließend aus einer Materialseilbahn zu Tode zu stürzen. Mehr Scheiße, Kreuthner, kann man nicht bauen. Mehr hab ich jedenfalls in fast vierzig Jahren Polizeidienst nicht gesehen. Geht mich, wie gesagt, disziplinarisch nichts an. Was wir allerdings ermitteln müssen, ist: Wieso ist Nissl aus der Seilbahn gestürzt?«
»Er ist rausgesprungen.« Wallner trank ein wenig von dem mittlerweile etwas abgekühlten Tee.
»Sie meinen, er wollte fliehen?«
»Ich meine, er wollte sich umbringen.«
»Aus welchem Grund?«
»Ich hatte den Eindruck, er wollte unter keinen Umständen ins Gefängnis.«
Lukas schwieg dazu. Es schien, als sei er nicht besonders überrascht von dieser Nachricht.
»Mein Großvater sagt, Nissl wurde im Krieg mal eingesperrt und achtzehn Tage lang vergessen.«
»Hab auch davon gehört«, sagte Lukas leise. »Tragisch … sehr tragisch.« Er drückte seine Zigarette aus und massierte sich die Nasenwurzel. »Gut. Kommen wir zu der Leiche.«
Zwei Minuten später war Kriminalhauptkommissar Thomas Höhn zu der Runde gestoßen, ein vierundsechzig Jahre alter Kripobeamter, der dem Tag entgegenfieberte, an dem der Staat ihn in Pension schicken und er sich nur noch um seine Forellenzucht kümmern würde.
»Schwierig«, sagte Höhn. »Wenn die Frau am zweiten Mai gestorben ist – vielleicht hat sie bei den Kämpfen eine Kugel abbekommen. Ich meine, es war Krieg. Da sind Millionen umgekommen.«
»Aber wir wissen es nicht. Vielleicht war es auch Mord«, wandte Wallner ein. »Müssten wir dann nicht ermitteln?«
»Natürlich müssten wir ermitteln«, verteidigte sich Höhn. »Das verjährt ja nicht. Aber wir können doch net a Soko mit dreißig Mann auf den Fall ansetzen. Die Chance, dass da was rauskommt, liegt bei null. Wir wissen ja net amal genau, wer das überhaupt is. Aus der Familie, der die Kapelle gehört, ist sie jedenfalls nicht. Das haben wir schon abgefragt. Die wissen nichts von dem Grab.«
»Ich frage mich halt: Wieso macht sich jemand die Mühe, heimlich diese Gruft zu bauen? Und wer hat die Gruft gebaut? Irgendwas stimmt doch da nicht.«
»Mei, nach dem Krieg ist viel durcheinandergegangen. Irgendein Spinner?«
»Wir warten jetzt erst mal ab«, schloss Lukas die Sitzung, »was die Leute vom LKA und der Gerichtsmediziner zu dem Fund sagen. Sie werden inzwischen schauen, ob Sie mehr über Frieda Jonas herausfinden.«
18
2. Mai 1945
D ie gut zwei Dutzend Einwohner von Dürnbach, die an diesem Morgen zusammengekommen waren, um zu beraten, was zu tun war, saßen in einem Nebenraum der Wirtsstube.
Das, was zu bereden war, sollte keinem Außenstehenden zu Ohren kommen. Es wurde leise gesprochen in dem kleinen, holzgetäfelten Raum des Wirtshauses Semmelwein, und die Fenster waren sorgsam geschlossen.
»Weißt du des g’wiss, dass des die Düsseldorferin war, wo du
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