Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
war mittels Trennblättern thematisch gegliedert.
»Alter Kreuzhof«, sagte Beck und schlug die Rubrik auf, achtete aber darauf, dass man ihm nicht über die Schulter sah. Nachdem er die Notizen kurz überflogen hatte, nahm er zwei Blätter heraus und klappte den Ordner zu.
»Mein Vater hat damals Folgendes geschrieben: 4. Mai: Kreuzbauer und Haltmayer besichtigen alten Kreuzhof. Gebaren undurchsichtig. Was hat Haltmayer mit Hof zu schaffen? Dann: 3. Juni: Haltmayer öfter auf Hof. Kreuz gar nicht mehr. Gehört Hof jetzt Haltmayer? 7. Juni: Kreuz beiläufig gefragt. Sagt, er hat Hof an Haltmayer vermietet. Auf Frage, was der mit dem Hof will, versetzt Kreuz: Geht mich nix an und ist mir wurscht. 12. Juli: Haltmayer macht sich hauptsächlich an Kapelle zu schaffen. Beweis: Untenstehende Photographie. Hat Schlösser an Kapelle angebracht. Wieso? «
Beck ließ seine Gäste auf das Blatt schauen, auf dem der letzte Vermerk stand. Ein Schwarzweißfoto war dort eingeklebt, das einen etwa fünfzigjährigen Mann zeigte, der gerade dabei war, die Kapellentür abzuschließen. Das Bild war, wie es den Anschein hatte, aus größerer Entfernung gemacht worden.
»Was sagt uns das jetzt?«
»Der Hof mit der Kapelle ist damals vermutlich vom Haltmayerbauern gemietet worden. Dem alten Ägidius Haltmayer. Aber gewohnt hat der weiterhin auf seinem eigenen Hof.«
»Das Ganze ist ein bisschen eigenartig«, sagte Wallner. »Ich hab mit einem von den Haltmayers gesprochen, und der sagt, sie hätten den Hof bestimmt nicht gemietet.«
»Das weiß der wahrscheinlich gar nicht. Das ist nämlich nicht mehr die ursprüngliche Familie.«
»Sondern?«
»Der jetzige Haltmayer, der Sebastian, das ist ein Neffe vom Ägidius.« Beck tippte auf das Foto. »Der Ägidius ist Ende der sechziger Jahre gestorben, seine Frau war lange vor ihm tot, und die haben keine Verwandten hinterlassen. Also jedenfalls keine, die näher verwandt waren wie der Sebastian. Und deswegen hat der geerbt.«
»Das heißt«, resümierte Claudia, »dass vermutlich der alte Haltmayer die Leiche begraben hat. Das ist doch schon mal ein Anhaltspunkt.«
»Ich könnte mir denken, dass in dem Ordner noch andere Hinweise auf die Leiche sind. Man müsste ihn mal gründlich durcharbeiten.« Wallner streckte seine Hand zum Ordner aus, der von Beck sofort aus der Gefahrenzone gezogen wurde.
»Tut mir leid. Das ist vertrauliches Material. Außerdem ist da nichts mehr drin, was Ihnen helfen könnte.«
»Wie können Sie das so schnell sagen? Da braucht man wahrscheinlich Stunden, um das auszuwerten.«
»Ich kenne alle Aufzeichnungen.« Beck sah auf seine Armbanduhr. »Ich mach Ihnen eine Kopie der zwei Seiten. Dann muss ich wieder arbeiten.« Becks Körperhaltung versteifte sich, den Ordner klemmte er unter die Achsel. Der Termin war beendet.
Als Claudia und Wallner durch das Schiebetor nach draußen fuhren, sahen sie drei ältere Männer scheinbar müßig an der Straße stehen. Wallner erkannte sie wieder. Er hatte sie gestern Abend in der Wirtschaft getroffen: Sebastian Haltmayer, der frühere Bürgermeister Ruperti und Albert Kieling. Sie nickten, als der Wagen vorbeifuhr. Dann schauten sie zum Beckschen Anwesen und berieten sich.
»Schade«, sagte Wallner. »Ich glaube, du warst nicht entgegenkommend genug. Sonst hätten wir mehr von Beck erfahren. Der hat da was in seinem Ordner, jede Wette.«
»Wahrscheinlich.« Claudia schüttelte den Kopf und lachte. »Der Kerl hatte auf einmal nichts mehr an außer diesem Aktenordner.« Sie wurde nachdenklich. »Da ist mir schon ein bisschen anders geworden.«
»Hat sich wahrscheinlich gedacht: jetzt oder nie.«
»Das hätt ich ihm nicht zugetraut.«
»Tja«, sagte Wallner und lächelte in sich hinein. »Irgendwas hat ihm wohl Mut gemacht.«
Währenddessen stand Uwe Beck in seinem Archiv und heftete die Blätter wieder in den Ordner. Dann schlug er eine andere Rubrik auf. Er blätterte so lange, bis er die Seite fand, die er gesucht hatte. Auch hier war ein altes Foto eingeklebt, daneben ein handgeschriebener Text. Beck starrte das Foto lange an.
Eigentlich ärgerte er sich, dass er seinen Besuchern überhaupt etwas gegeben hatte, obwohl ihn die Frau mit ihrem anzüglichen Verhalten in diese peinliche Situation gebracht hatte.
Nun ja – mit der Information würden sie ohnehin nicht weit kommen. Das Foto hier, das war die heiße Spur. Er musste nur herausfinden, wer darauf zu sehen war. Der Mann war heute siebenundvierzig
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