Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
Jahre älter und würde deutlich anders aussehen. Aber Becks Vater hatte genug Material hinterlassen. Darin würde er Hinweise finden. Und dann würde man sehen, was sich aus diesem exklusiven Wissen machen ließ.
23
L eonhardt Kreuthner hatte wie viele in seiner Familie einen gewundenen Lebenslauf. Recht deutlich lag bei den Kreuthners ein Hang zum Kriminellen im Erbgut. Tatsächlich waren die meisten kleine Ganoven, Betrüger und Rosstäuscher. Da gab es nichts zu beschönigen. Die andere Variante waren diejenigen, die die Nähe zum Verbrechen im Polizeidienst suchten. So hatte Kreuthners Urgroßvater in den dreißiger und vierziger Jahren das Amt des Dorfpolizisten in Dürnbach versehen. Ein entfernterer Onkel hatte eine bescheidene Karriere als V–Mann beim Verfassungsschutz gemacht.
Kreuthner selbst war ein intelligenter Junge, wenn auch unstet und ohne rechtes Ziel im Leben. Das Gymnasium brach er in der zehnten Klasse ab und verdingte sich zunächst als ungelernter Arbeiter in der Papierfabrik.
In dieser Zeit geriet er in die Gesellschaft von Autodieben, ein Geschäft, das sich als profitabler erwies als die Arbeit in der Fabrik. Nach einigen kleineren Diebstählen war eines Tages der Einbruch in ein Autohaus geplant. Doch an dem Tag starb Kreuthners Mutter an einer Blutvergiftung, und er sagte seine Teilnahme an dem Einbruch ab. Alle anderen wurden auf frischer Tat gefasst und zu erheblichen Haftstrafen verurteilt. Besonders gläubig war Kreuthner nicht. Aber dass so etwas ein Zeichen von oben war, das konnte selbst der Verstockteste nicht in Abrede stellen. Und so beschloss Kreuthner, seine kriminelle Karriere zu beenden und in den Polizeidienst zu gehen.
Es liegt auf der Hand, dass Kreuthner sein unsolides Wesen bei der Berufsausübung gelegentlich im Weg stand, wie die unglückliche Geschichte um Thomas Nissl belegte. Jetzt drohte ein Disziplinarverfahren. Kreuthners Vorgesetzter, der Leiter der Miesbacher Schutzpolizei, konnte die Sache nicht einfach unter den Teppich kehren, denn es gab, wie bei jedem unnatürlichen Todesfall, eine offizielle Ermittlung. Nach Wallners Aussage konnte man zwar von Selbstmord ausgehen. Wie es allerdings dazu kommen konnte, dass Wallner und Nissl mitten in der Nacht verbotenerweise zusammen in einem Materiallift saßen (und Nissl zuvor eine ganze Hüttenbesatzung als Geiseln genommen hatte) – das musste irgendwie erklärt werden. Da kam zwangsläufig Kreuthners Beteiligung an der Sache ins Spiel.
Aus diesem Grund war Kreuthner sehr daran gelegen, zum Ausgleich in dem aktuellen Mordfall ein paar Meriten zu sammeln. Er passte Wallner abends vor dem Revier ab. »Und? Wie schaut’s aus? Weißt schon, wer die Leiche is?«
»Nein.« Wallner schien nicht auf ein längeres Gespräch aus zu sein.
»Du warst gestern Abend in Dürnbach? Beim Semmelwein?«
»Ja. Aber da sagt keiner was. Ich hab den Eindruck, die mauern. Wir haben noch andere ältere Bewohner gefragt. Da können sich zwar einige vage erinnern, dass mal für kurze Zeit eine junge Frau in Dürnbach war. Aber die sagen übereinstimmend, das wär vor dem Krieg gewesen.«
»Was ist mit dem Beck? Der spioniert doch alle aus. Was sagt der denn?«
»Jedenfalls hat er nicht gesagt, woher die Tote kam.«
»Was denn dann? Lass dir halt net alles aus der Nase ziehen! Oder willst mich aus der Sache raushalten?«
»Ich sag mal so: Es wäre besser, wenn du in nächster Zeit ein bisschen aus der Schusslinie bleibst. Du weißt, warum.«
»Gerade darum wär’s gut, wenn ich mich einbringe.«
»Versteh’s nicht falsch, aber … wenn du dich einbringst, endet das meistens in einer Katastrophe.«
»Ach?! Wer hat denn die Leiche gefunden? War des vielleicht a Katastrophe?«
»Das erkennt ja auch jeder an. Aber deine Ermittlungsmethoden und meine, die passen nicht zusammen.«
»Schade«, sagte Kreuthner und schien durchaus beleidigt. »Ich hätt nämlich an Informanten. Der könnte mir sicher interessante Sachen erzählen.«
»Und wer soll das sein? Ja wohl nicht dein Vater.«
»Nein. Mein Großvater.«
»Wie alt ist der?«
»Vierundsechzig. Der war siebzehn bei Kriegsende. Irgendwas wird der schon wissen. Aber der wohnt nimmer in Dürnbach.«
»Okay. Gib mir die Adresse, dann schau ich morgen mal hin.«
»Vergiss es. Der redt net mit dir.«
»Ist das so ein Typ wie dein Vater?«
Kreuthner zuckte mit den Schultern.
»Gut. Wir fahren morgen zusammen hin.«
»Wir fahren jetzt hin. Weil tagsüber schläft er.
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