Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
hat, dass ihn jemand umbringt, dann würde er doch länger wegfahren und seinen Hund mitnehmen.«
»Die Frage bleibt: Wo ist Beck?«
»Wo ist dein Herrchen?«, fragte Claudia den Hund.
Wallner reichte ihr eine schmutzige Baseballkappe, die zwischen zwei Tastaturen lag.
»Lass ihn mal dran riechen.«
Der Hund wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, als ihm die Kappe vor die Nase gehalten wurde. Claudia stand auf. »Na komm, Kleiner. Such!«
»Glaubst du, das macht Sinn?«
»Schauen wir einfach mal.«
Der Hund machte einen unschlüssigen Eindruck. Einerseits war er aufgeregt und nervös, andererseits war ihm anscheinend nicht klar, was er tun sollte. Er war alles andere als ein ausgebildeter Spürhund. Claudia ging daher voran, der Hund folgte ihr.
»Was hast du vor?«, fragte Lukas.
»Ich geh mit ihm durchs Haus, vielleicht findet er eine Spur.«
»Wehe, du nimmst irgendwelche Sachen mit!«, rief Lukas.
Claudia ging zum Archiv.
»Vor allem nicht aus dem Archiv!«
Sie wollte die Türklinke zum Archivraum drücken.
»Und zieh dir bitte Handschuhe an, wenn du was anfasst.« Lukas gab Claudia seine eigenen Plastikhandschuhe.
Als die Tür offen war, zeigte der Hund keinerlei Interesse an dem Raum. Stattdessen ergriff er die Initiative und trottete in eine andere Richtung. Claudia folgte ihm. Wallner und Lukas gingen hinterher. Vor einer unscheinbaren Tür blieb der Hund stehen. Sie war, anders als so manch andere Tür im Haus, nicht besonders gesichert. Eine ganz normale Tür mit Klinke.
Der dahinterliegende Raum besaß keine Fenster, so dass Claudia Licht machen musste. Berge von Wäsche, gewaschen und schmutzig, lagen auf dem Boden. Bügelbrett, Bügeleisen, abermals etlicher Elektroschrott und eine Gefriertruhe. Der Hund stellte sich vor die Gefriertruhe und bellte zwei Mal. Claudia sah zu Wallner und ihrem Vater, die in der Tür stehen geblieben waren. Nach kurzem Zögern öffnete sie den Deckel, blickte in die Truhe und wich einen Schritt zurück.
28
A uf den ersten Blick sah Uwe Beck aus, als habe er Jahre im ewigen Eis verbracht. So mochten sie Robert Scott nach seinem tragischen Ende in der Antarktis gefunden haben. Die Augen geschlossen, die Unterarme auf den Knien. Er hockte auf den Tiefkühlpizzas. Nur der Kopf hing etwas zur Seite, sonst hätte der Deckel nicht geschlossen.
Man entschied, die Leiche in der Truhe zu lassen, bis der Gerichtsmediziner aus München eintraf. Das bot die beste Gewähr dafür, dass sie nicht kontaminiert wurde. Lukas forderte allerdings einen der Spurensicherungsleute auf, vorsichtig zu untersuchen, ob die Leiche Wunden hatte. Der Beamte entdeckte nichts.
Der Leichenfund rechtfertigte im Nachhinein das Eindringen in das Gebäude durch Polizei und Staatsanwaltschaft. Natürlich nicht die unverhältnismäßig brutale Art und Weise, mit der man vorgegangen war. Aber immerhin rückte die Sprengung ein wenig in den Hintergrund, zumal sich vorerst niemand darüber beschwerte. Der Hauseigentümer zumindest konnte es nicht mehr.
Claudia, als Staatsanwältin Herrin des Ermittlungsverfahrens, ordnete an, sämtliches im sogenannten Archiv befindliche Material zu sichern und nach Miesbach zu bringen. Seit 1928 gab es aus jedem Jahr mindestens einen Aktenordner mit Fotos und Dokumenten sowie handschriftlichen Notizen zu Ereignissen, die den Becks in Dürnbach verdächtig vorgekommen waren. Bis 1972 wurden die Akten von Gerhard Beck geführt, ab da von seinem Sohn Uwe. Seit 1987 waren die Aktenvermerke auf dem Computer geschrieben und ausgedruckt.
Uwe Beck hatte offenbar ab Ende der siebziger Jahre auch mit der Videokamera gearbeitet. Anfangs noch auf Betamax, später auf VHS. An die zweihundert Kassetten standen ordentlich beschriftet in einem Blechregal.
Schließlich gab es noch die Videoüberwachungsanlage. Die drei Recorder enthielten Kassetten mit einer Laufzeit von acht Stunden, sie waren voll bespielt.
Was merkwürdigerweise fehlte, war der Aktenordner für das Jahr 1945.
Der Gerichtsmediziner fluchte ein bisschen, als er den Zustand der Leiche sah. Offenbar hatte ihm niemand gesagt, dass sie sich bei minus achtzehn Grad in einer Tiefkühltruhe befand. Sonst hätte er darum gebeten, sie ihm nach München zu schicken. Die Fahrt an den Tegernsee hätte er sich jedenfalls sparen können, denn an dem Eisklumpen gab es nichts zu obduzieren.
Die Leichenschau erfolgte am nächsten Morgen in Anwesenheit von Claudia. Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft musste von Gesetzes
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