Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
waren beengt, aber man musste ja nur fernsehen und Notizen machen.
Die meisten Aufnahmen waren unspektakulär und ermüdend. Alltagsszenen, in die Beck geheimnisvolle Verbrechen hineininterpretierte. Aber es war offenkundig, dass fast das gesamte Material belanglos war.
Auf dem zweiten Videoband, das er einlegte, kam Wallner zu seiner Überraschung selbst vor. Dort war zu sehen, wie er zusammen mit Kreuthner die Obstlerflaschen aus der Kapelle zum Hof von Kreuthners Vater trug.
Gegen Mittag kam Kreuthner mit seinem Bürosessel zu Wallner gerollt und sagte: »Schau dir das mal an.« Er deutete auf das Standbild eines Überwachungsvideos, das die Einfahrt des Beckschen Hauses zeigte. Wallner starrte auf den Time Code.
»Das ist doch das fehlende Video! Wo hast du das her?« Wallner war sichtlich aufgeregt.
»Das hab ich gleich sichergestellt, wie wir in das Haus gegangen sind.«
»Ja und? Wieso war’s dann weg?«
»Weil … weil mich der Arzt nach Hause geschickt hat.«
Wallner fehlten die Worte.
»Was hast denn? Jetzt ist es doch da. Schau’s dir wenigstens an.«
Lange war nur das Einfahrtstor zu sehen. Nachts. Links unten der Time Code. Irgendeine Lampe spendete spärliches Licht. Schließlich kam Bewegung ins Bild. Erst ein Schatten, dann Beine in Gummistiefeln, soweit man das bei der Bildqualität sagen konnte. Ein Mann erschien vor der Kamera. Er hatte eine Halbglatze und schütteres Haar, keine Kopfbedeckung. Der Mann klingelte. Nach einer Weile hob er den Kopf und blickte in die Kamera. Jetzt konnte man sehen, dass es Sebastian Haltmayer war. Offenbar hatte Beck etwas durch die Gegensprechanlage gesagt. Darauf antwortete Haltmayer. Sein Gesichtsausdruck wurde im Verlauf des Gesprächs finsterer, eine senkrechte Falte zeigte sich zwischen den Augenbrauen. Das Tor wurde freilich nicht geöffnet. Ohne Zweifel wollte Beck ihn nicht hereinlassen. Am Ende der Sequenz schrie Haltmayer, drohte mit der Faust in die Kamera, drehte sich um und verschwand mit eiligen Schritten.
»Der war ganz schön zündtig«, meinte Kreuthner.
Wallner blickte sinnierend auf den Bildschirm, der jetzt wieder ein nächtliches Stillleben vor dem Haus zeigte. »Wäre gut, wenn wir wüssten, was Haltmayer gesagt hat. Wir brauchen einen Lippenleser.«
»A Cousin von mir is taubstumm. Der kann so was.«
»Danke, ich such mir lieber selber einen Lippenleser. Bei deiner Verwandtschaft weiß man nie, was die für komische Forderungen stellen.«
»Na ja – ich glaub, der is auch gar net richtig taubstumm. Das macht er nur wegen der Sozialhilfe.«
»Dann kann er auch nicht Lippen lesen.«
»Doch, du kannst mit dem fast normal reden. Das liest er alles von den Lippen ab.«
»Ja, weil er’s hören kann.«
»Ach so …« Kreuthner wurde nachdenklich. »Der Sauhund.«
Am übernächsten Tag fand eine Besprechung im kleinen Kreis statt, um die bisherigen Ergebnisse zu sichten. Lukas berichtete zunächst von den Ergebnissen der Spurensicherung. Man hatte einige Fingerabdrücke im Haus des Opfers gefunden. Von besonderem Interesse war eine benutzte Kaffeetasse. Die Fingerabdrücke darauf waren zum größten Teil nicht von Beck. Vielleicht hatte Beck seinem späteren Mörder einen Kaffee angeboten.
Als Todeszeitpunkt wurde ein Zeitraum angenommen, der vom Abend des Tages, an dem Beck bei Lukas war, bis zum nächsten Mittag reichte. Da hatte Wallner versucht, Beck anzurufen. Und seit dem Tag war er von niemandem mehr gesehen worden. Die Autopsie erbrachte in dem Punkt keine Resultate, da bei der tiefgekühlten Leiche die üblichen Verwesungsprozesse nicht in Gang gekommen waren.
In Becks Akten waren mehrere Fotos aufgetaucht, die Wallners Aufmerksamkeit erregt hatten. Sie zeigten Kieling in seinem Garten. Auf den Bildern war eine weitere Person zu sehen, ein Mann, etwas älter als Kieling. Die Fotos klebten auf einem Blatt Papier, das mit Anmerkungen versehen war.
»Was steht da?«, wollte Lukas wissen.
»Verdächtiger Besuch«, las Wallner vor. »Der Mann ist bei Nacht gekommen und bei Nacht gefahren. Kieling ist nicht sauber. Aber das wissen wir ja schon lange. Plant er wieder Schweinereien?«
»Von wann ist das?«
»Ist ein gutes Jahr her. Juli 1991. Hier gibt es noch ein paar Nachtaufnahmen.«
Wallner legte weitere Fotos auf den Tisch. Sie zeigten einen Wagen, der bei Dunkelheit aus einer Grundstückseinfahrt fuhr. Den Kommentar dazu verlas Wallner ebenfalls: »Er fährt wieder. Nacht- und Nebelaktion. War ja klar. Der
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