Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
sein.«
»Das ist absolut richtig. Und am zweiten Mai 1945 ist sie in Dürnbach gestorben. Und jetzt kommen Sie ins Spiel. Wir vermuten, dass Frieda Jonas all die Jahre in einem Lager war und sich Ende April, Anfang Mai auf einem der Todesmärsche befand, der sie bis nach Dürnbach geführt hat.«
Haltmayer zuckte die Schultern. »Ich weiß davon nichts.«
»Wie ist die Sache denn ausgegangen?«, fragte Höhn.
»Mei, ich hab gesagt, schwärmt’s im Ort aus. Und das ist dann auch gemacht worden. Aber mir haben sie nicht gefunden. Ich hab die Leute dann, wie schon gesagt, heimgeschickt.«
»Sie selber haben diese Gefangene nie gesehen?«
»Nein. Der Krieg war aus. Die hat mich nicht mehr interessiert. Wieso auch?«
»Schauen Sie mal.« Lukas gab Wallner ein Zeichen. Der schaltete den Videorecorder ein. Auf dem Bildschirm des Fernsehers erschien das Überwachungsvideo, das man bei Beck sichergestellt hatte. Haltmayer schrie tonlos in die Kamera. »Ich lass mich von dir nicht erpressen, sagen Sie da.«
Haltmayer wollte protestieren. Aber Lukas brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen.
»Das haben Sie gesagt. Es gibt professionelle Lippenleser. Mit was hat Sie denn der Herr Beck erpresst?«
Haltmayer schwieg.
»Sie wären Ihren Hof los, wenn Sie nicht zahlen, was er verlangt, stimmt’s?«
Haltmayer sagte weiterhin nichts.
»Oder hat er damit gedroht, Sie ins Gefängnis zu bringen? Becks Vater hat einiges an unschönen Dingen zusammengetragen über die Jahre. Er wusste auch, dass Ihr Onkel Ägidius Haltmayer im August 1939 einen Adoptionsantrag gestellt hatte.«
Lukas öffnete den gelben Aktendeckel mit den Unterlagen aus dem Amtsgericht und ließ Haltmayer einen Blick darauf werfen. »Er wollte Frieda Jonas an Kindes statt annehmen. Die Papiere waren schon fertig. Mit den Unterschriften Ihres Onkels und der Mutter von Frieda Jonas. Der alte Gerhard Beck wusste das offenbar. Sein Schwager war Rechtspfleger am Amtsgericht und hat den Antrag bearbeitet. Nachdem Frieda Jonas verschwunden war, stockte die Sache. Erst nach dem Krieg wurde dem Antrag stattgegeben. Da wusste niemand, dass sie schon tot war. Bis auf den, der sie erschossen hat.«
»Sie glauben doch net, dass ich das war?«
»Ich denke, Sie wussten von den Adoptionsabsichten. Sie waren an dem Tag, an dem Frieda Jonas erschossen wurde, in Dürnbach. Sie wussten, dass sie als flüchtiger Häftling gesucht wurde. Sie hatten ein Gewehr dabei. Und Sie konnten relativ unauffällig die Frau loswerden, die später den Hof erben würde, auf den Sie so sehnsüchtig warteten.«
»Nein. Das stimmt net.«
»Und vor ein paar Tagen«, schaltete sich Höhn ein, »kommt Uwe Beck und erpresst Sie. Weil er Beweise für den Mord hat. Oder weil er den Bruder der Toten ausfindig gemacht hat und droht, dass der Ihren schönen Hof kriegt, wenn Beck ihm alles erzählt.«
»Was zwar aus verschiedenen Gründen nicht der Fall ist«, stellte Lukas klar. »Aber das wussten Beck und Sie offenbar nicht. Sie sind ja keine Juristen.«
»Ich hab die Frau net erschossen. Und den Beck auch net.«
»Wer war’s dann?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wer war der SS-Mann, der Ihnen damals den Auftrag gegeben hat, Frieda Jonas zu suchen?«
»Keine Ahnung. Irgendein SS-Mann. Die waren alle auf dem Rückzug. Des is drunter und drüber gegangen. Und wenn dir einer von der SS was angeschafft hat, dann hast es besser gemacht. Die ham net lang gefackelt.«
»Schade, dass Sie sich nicht mehr erinnern können«, sagte Lukas. »Aber wir haben noch Hoffnung. Die Erinnerung an Frieda Jonas ist ja auch wiedergekommen.«
Haltmayer breitete die Arme als Geste des guten Willens aus. »Ich denk drüber nach. Vielleicht fällt’s mir noch ein.« Er blickte auf seine Uhr. »Ich muss zurück auf’n Hof.«
»Daraus wird leider nichts. Sie werden erst mal bei uns bleiben. Da lenkt Sie auch nichts vom Nachdenken ab.«
34
2. Mai 1945
D er hochgewachsene Junge war nervös und fing an zu zittern. Der Schuss löste sich, doch die Flasche auf dem Zaunpfosten bliebt unversehrt. Stattdessen zersplitterte eine Fensterscheibe des leerstehenden Bauernhofs.
SA-Rottenführer Sebastian Haltmayer war fassungslos. »Du hirnloser Lulatsch! Willst so gegen den Ami kämpfen? Wennst Glück hast, lacht der sich tot.«
Er ging zu dem Jungen, nahm ihm das Gewehr aus der Hand und gab es einem anderen Burschen, der die Flasche im Handumdrehen erledigte. Sebastian Haltmayer klopfte ihm auf die Schulter. Aus den
Weitere Kostenlose Bücher