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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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knackten, wünschte er all die Unschuld und Naivität, die sie bekommen konnten, bevor sie ein Opfer ihrer selbst wurden. Er wünschte ihnen, dass ihre Ideale überleben konnten, zumindest ein paar davon, und dass sie den Geschmack eines teuflischen Kompromisses niemals kennenlernen mussten.
    Justin wusste, dass er diesen Ort nicht verlassen konnte, ohne Mullavey eine ganz bestimmte Frage zu stellen. »Wissen Sie, an diesem Tag im Juli, als wir dieses Meeting in Ihrem Konferenzzimmer hatten? Damals habe ich Sie wirklich respektiert.« Er hielt den Hals der leeren Bierflasche unter seine Unterlippe und beugte sich mit weit geöffneten Augen vor, damit Mullavey einen besseren Blick durch die Fenster der Seele hatte. »Sie haben mich reingelegt. Ich habe an diesem Tag wirklich geglaubt, dass Ihnen die Menschen am Herzen liegen. Sie haben die Arbeitslosigkeitsstatistiken runtergebetet, und ich dachte wirklich, dass sie Ihnen etwas bedeuten.« Er stellte die Flasche auf den Tisch. »Sechsundzwanzig Millionen Dollar, die sie im letzten Jahr für wohltätige Zwecke gespendet haben. Ich will … ich will einfach nur wissen …«
    »Warum die Mühe?«
    Justin hoffte auf einen letzten flüchtigen Blick in das Innere seines Feindes, der wie ein Denkmal auf einem Podest aus Lehm dasaß. Er wartete auf den Zorn und fragte sich, ob er ihn wirklich kurz aufblitzen sah oder sich das nur eingebildet hatte.
    »Waren Sie in Ihrer Jugend ein Rebell, Mr Gray?« Mullavey räusperte sich lautstark und sah dann endlich wieder auf.
    »Ich schätze, das war ich. Und … ich glaube, dass meine Jugend länger dauerte, als sie es hätte tun sollen.«
    »Und haben Sie Ihren Vater nie angesehen und sich geschworen, dass Sie niemals so enden würden wie er?« Mullavey wartete gar nicht erst auf eine Antwort. »Natürlich haben Sie das, allen Rebellen geht es so.« Er räusperte sich erneut und rutschte dann in einem unangenehmen Anfall von Nostalgie auf seinem Stuhl hin und her. »Mein Bruder war ein großartiger Rebell. Er hat seine Karriere darauf aufgebaut. Ich habe ihn deswegen geliebt und gehasst, denn er … er hatte den Mumm, den Weg zu gehen, den er gehen wollte. Er hat den Namen unseres Vaters einfach abgelegt. Und er überließ es mir, der gute Sohn zu sein.«
    Mullavey saß einige Augenblicke lang schweigend da, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, und musterte seine Fingerspitzen, während er sie gegeneinanderdrückte. »Väter sind … schrecklich zu ihren Söhnen. Besonders dann, wenn es so viele Erwartungen gibt … und so viel, zu dem man aufsehen muss. Wenn ich mich an meinen Vater erinnere … dann sehe ich diesen dickköpfigen alten Bastard, der sich weigert zu sterben und mehr Geld besitzt als der Vatikan. Soweit ich weiß, hat er niemandem je auch nur einen Nickel gegeben, der ihn sich nicht verdient hatte.« Dann verzogen sich Mullaveys Lippen zu einem Grinsen, er lachte halt zuletzt. »Können Sie sich den Gesichtsausdruck meines Vaters vorstellen, wenn er herausfinden würde, dass ich sechsundzwanzig Millionen Dollar aus dem Vermögen der Firma gespendet habe? Manchmal liege ich nachts wach und male ihn mir aus.«
    Er gestatte sich ein leises Lachen, bis er husten musste. Justin hätte es fast besser gefunden, wenn dies doch ein Rätsel geblieben wäre.
    »Sie sollten diese Geschichte nächsten Monat erzählen«, flüsterte Justin.
    Mullavey sah ihn an und verstand es ganz offenkundig nicht.
    »Mann des Jahres«, erinnerte ihn Justin, stand dann auf, um zur Tür zu gehen, und ließ Moreno zu ihm aufschließen, während er sein Leben zurückforderte. »Bei diesen Gelegenheiten wird im Allgemeinen eine Rede erwartet.«
    Er ging einen Schritt, dann einen weiteren, und er stand schon zwischen Mullavey und dem speisenden Paar, als der Mann seinen Namen aussprach. Dieses Mal seinen Vornamen, und Justin wusste, dass er eigentlich weitergehen sollte, aber ihm war auch klar, dass er sich dann stets fragen würde, was er verpasst hatte.
    Er hielt an.
    »Es ist eine Schande, wie die ganze Sache gelaufen ist«, sagte Mullavey mit leichtem Bedauern. »Ich … ich fand Ihre Arbeit für mich wirklich brillant. Sie war außergewöhnlich. Das sollten Sie wissen.«
    Justins Kopf fühlte sich plötzlich ganz schwer an, und er drehte ihn auf seinem steifen Hals herum; er wusste, dass er nach fast allem hätte weitergehen können, aber nicht nach so etwas. Musste Mullavey ihn an dieses Stückchen legalen Plagiatismus erinnern, dieses

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