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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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Arschloch?
    Justin sah zu dem Paar zu seiner Rechten und zu ihrem Tisch hinüber, der mit Krebspanzern übersät war. Er griff zu.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er zu ihnen.
    Und er wusste einfach, dass er kurz davor war, etwas sehr, sehr Dummes zu tun.

26
V ERLUST
     
    Die Vorahnung schlug zu, bevor sich die Moteltür öffnete. Sie hörte, wie draußen auf dem Parkplatz Wagentüren zugeschlagen wurden, dann näherten sich laute Stimmen. Justin, Moreno … die sich stritten? April blickte zu Christophe hinüber und saß dann steif da, als die Tür aufging und sie hineinstürmten …
    Und es war das seltsamste Gefühl der Erleichterung, das sie seit Jahren verspürt hatte. Wären die Dinge schlecht gelaufen, wären sie dann nicht hereingekommen und würden alles für den Aufbruch vorbereiten? Und hätten vielleicht vorher einen schnellen Telefonanruf getätigt? Aber Justin sah sie bloß an und verdrehte die Augen, dann fiel er rücklings auf eines der Betten und bewegte sich nicht mehr.
    »Wo sind die Zigaretten, die Sie für mich aufbewahren sollten?«, fragte Moreno an Christophe gewandt, der verwirrt und überrascht die Stirn runzelte und dann auf eine Schublade der Kommode deutete.
    April stand auf. »Was ist los? Was ist passiert?«
    Moreno wartete, bis er die Zigarette angezündet und das Streichholz gelöscht hatte. Er inhalierte nervös und schnippte dann das Streichholz quer durch den Raum zu Justin, als sei es ein rauchender kleiner Komet. »Fragen Sie ihn. Fragen Sie das verdammte kleine Genie, was es getan hat.«
    »Justin.« Sie sah zu ihm hinunter, und er wirkte so weit weg, so losgelöst. Sie kannte diesen Blick; manchmal bedeutete das, dass er etwas viel schneller begriffen hatte als alle anderen, und dann wieder war es ein Omen dafür, dass sie einen guten Grund hätte, ihn zu erwürgen.
    »Uns wird nichts passieren«, sagte er.
    »Was hast du getan?«
    Er räusperte sich und rieb sich verschämt über die Wange. »Ich, äh … ich habe … zugelassen, dass mein Temperament mit mir durchging.«
    April taumelte einen Schritt zurück und setzte sich dann. Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie es nicht wahrhaben, und wie froh war sie in diesem Augenblick darüber, dass ihr Körper kein Testosteron produzierte und ihr diese bedrohlichen Verhaltensanomalien erspart blieben. Zumindest in direkter Form.
    »Erzähl es mir.« Eine direkte Forderung an einen von ihnen.
    Moreno war es leid, auf Justins Antwort zu warten. »Er hat Mullavey die Hand mit einem Krebshammer gebrochen.«
    Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. »Das hast du nicht getan.«
    Justin wirkte finster und sarkastisch zugleich. »Schuldig.«
    April hörte sich selbst lachen, irgendwie hatte die ganze Sache etwas Aberwitziges an sich. Dann sprang sie aus ihrem Sessel, stürzte sich auf Justin und hämmerte ihm gegen die Schulter. Jede Frage erschien ihr zu diesem Zeitpunkt auf traurige Weise irrelevant – war er durchgedreht, was hatte er sich nur dabei gedacht –, aber sie stellte sie trotzdem, und Justin ertrug das alles mit einer solchen Gelassenheit, dass sie ihn nur noch fester schlagen wollte. Wie konnte er es wagen, wie konnte er es nur wagen?
    Es war Christophe, der sie fortzog. Er legte ihr die Hände auf die Schultern und zog sie zurück zu ihrem Sessel, wo er sie festhielt, während sie langsam aufhörte, sich zu wehren, ja, ja, ich bleibe sitzen. Und als sie Moreno ansah, massierte dieser sich den Nasenrücken, als wolle er eine herannahende Migräne verscheuchen. Oh, was sollten sie jetzt von ihm halten, was waren sie nur für ein paar undankbare Loser.
    »Denkst du denn niemals nach?«, schrie sie Justin an. »Niemals?«
    »Ich erinnere mich an eine Zeit vor eineinhalb Jahren, als du ebenfalls nicht gerade allzu klar denken konntest.«
    Sie knirschte mit den Zähnen und drückte sich gegen Christophes Hände auf ihren Schultern. Die Tränen in ihren Augenwinkeln brannten wie durchsichtige Galle; er wusste wirklich, wie er ihr wehtun konnte, was? Ein Hieb mit der verbalen Peitsche, und jede Samstagssitzung, jede Anstrengung, die sie unternommen hatte, um ihre Neurosen zu besiegen, war mit einem Schlag wie weggeblasen. Ihre Stärke war plötzlich dahin und sie spürte, wie sie zitterte. Das waren die Schultern einer anderen Person, einer schwächeren, die sie nur zu gern in der schrecklichen Vergangenheit zurückgelassen hatte.
    Er hat es versprochen, dachte sie. Das war ein gequälter Ton, den nur sie allein hören konnte.

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