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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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Kralle auf und legte sie wieder vor ihn. »Davor haben Sie nichts zu befürchten. Niemand wollte Ihnen schaden, mein Junge.« Ihre Stimme war sanft geworden und belehrend. »Da hat jemand über Sie gewacht, darauf geachtet, dass Sie wachsam bleiben. Napolean hat mir berichtet, dass es dort eine Haushälterin gibt, die einige der alten Wege kennt, vielleicht war sie es.«
    »Aber das galt nicht für Leonard, für ihn hat sie das nicht gemacht.« Dann kam die Erkenntnis, und er legte die Hand über den Mund. »Er hatte sie anfangs beleidigt …«
    »Dann hat sie ihm das wohl übel genommen. Haitianer glauben an Schulden, die beglichen werden müssen.« Mama sah Granvier an. »Sie wissen, was ich meine, nicht wahr?«
    Er nickte. »Wir können süß wie Honig sein … oder bitter wie Galle.«
    »Ach, verdammt«, knurrte Justin. Leonard hatte es nicht verdient, zu sterben, nur weil er sich wie ein Idiot benommen hatte. Ich hätte genauso gut an seiner Stelle sein können, ich war betrunken genug, dass mir alles am Arsch vorbeiging …
    Er spürte Aprils Hand auf seinem Arm und konnte sie nicht ansehen.
    »Denken Sie jetzt nicht darüber nach«, meinte Mama Charity. »Sie müssen jetzt etwas anderes tun.«
    Sie brauchte sie, um Eimer mit warmem Wasser aus dem Haus in den Tempel zu tragen und dort in einen Waschzuber zu gießen, bis dieser zu drei Vierteln gefüllt war. Als sie die Eimer aus einer Abstellkammer holte, widmete sich Justin gern dieser Aufgabe.
    Ihr Heiligtum erschien so anders als die sterilen Häuser der protestantischen Anbetung mit ihrer unbeirrbaren Architektur und den feierlichen, wenn nicht sogar finsteren Ritualen, mit denen er den Begriff Religion bisher immer assoziiert hatte. Was für ein Kontrast zu diesen liebevollen Tumulten mit ihren Opfergaben und Symbolen, die alle eine ausgeklügelte Bedeutung besaßen. Auch wenn ihm diese nicht bekannt waren, so fiel es einem ob der von den Anbetern und Angebeteten an den Tag gelegten Leidenschaft doch schwer, dies aus Ignoranz als Aberglauben abzutun.
    Als der Zuber gefüllt war, versammelten sie sich alle zusammen mit Mama Charity in diesem ländlichen Heiligtum. Ihre Ehrerbietung war aus der Verzweiflung entsprungen, dem Drang, zu glauben, weil es ihre Feinde auch taten; selbst Moreno machte nicht den Anschein, dies nur seines Freundes zuliebe durchzuziehen.
    Der Waschzuber stand neben einem Altar, auf dem sich zahlreiche Kerzen und Flaschen befanden. Das Wasser dampfte in der kalten Nachtluft, die Pulver trübten es, und Jasminblüten trieben auf seiner Oberfläche.
    Sie ließ sie auf einem Muster, das mit Maismehl auf den Boden auf gestampfter Erde aufgetragen war und zwei parallele Schlangen darstellte, niederknien. Währenddessen betete Mama Charity am Altar und führte einige Begrüßungsrituale durch, deren Bedeutung Justin bestenfalls erraten konnte.
    Vier weiße Hühner pickten lautlos vor einer Wand in ihren Käfigen herum, und als Mama Charity fertig war, holte sie sie alle auf einmal heraus. Einen Vogel für jeden von ihnen, sie bewegte sie in stilisierten Mustern vor ihren Körpern hin und her. Dann drehte sie ihnen vor dem jeweiligen Bittsteller den Hals um und schlitzte ihnen mit einem Messer die Kehle auf, um das Blut in einer Holzschale aufzufangen.
    Dann malte sie ihnen feuchte purpurfarbene Kreuzzeichen auf die Stirn und ließ sie Federn aus den noch warmen Kadavern reißen, die sie als stille Beigabe des Opfers auf den Boden warfen.
    Mama Charity trat einige Schritte zurück. »Es wird Zeit für das Bad.«
    Sie ließ Granvier und Moreno draußen warten, als April als Erste an die Reihe kam. Justin setzte sich auf eine einfache Bank, und Mama schaltete das elektrische Licht aus und umringte die Wanne mit weißen Kerzen, dann entkleidete sich April.
    Allem haftete eine einfache, ruhige Schönheit an. April ging nackt auf die Wanne und die daraus emporsteigenden Dampfschwaden zu, hob dann ein schlankes Bein an und senkte es vorsichtig mit angezogenen Zehen in das Wasser hinab. Das sanfte Kerzenlicht ließ ihre Haut in einem weichen Schimmer erstrahlen, und jede Kurve und jeder Schatten wurden so doppelt betont.
    Sie setzte sich, und ihr Haar fiel ihr klamm auf die Schultern. Sie glich einem Kind, das von einem Elternteil gebadet wurde. Mama Charity kniete neben der Wanne und begann mit einer weißen Muschel Wasser aufzunehmen und es über Aprils Haare, Hals, Schultern und den Brustansatz zu gießen. Es tropfte, es spritzte, und mit

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