Totenstadt
zu ihnen an den Tisch, ohne ihnen etwas zu trinken oder eine andere irdische Gastfreundschaft anzubieten. Dies sollte kein fröhlicher Plausch über dampfenden Kaffeetassen werden.
»Sie haben mir am Telefon nicht sehr viel erzählt«, sagte sie, an Granvier gerichtet. »Wenn ich Ihnen helfen soll, sollten Sie mir lieber erzählen, worum es geht und wer Ihnen das Leben zur Hölle macht.«
Granvier legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Die Mullaveys. Sie wissen ja, was man über sie sagt.« Er gab ihr einen kurzen Überblick über die Ereignisse, die sie alle zusammengeführt und auf eine Flucht durch Hotel- und Motelzimmer in der ganzen Stadt geschickt hatten.
Sie hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen, und Justin bemerkte, wie der Zorn hinter ihren so ruhig wirkenden Augen zu lodern begann. Es war, als würde eine grimmige Schönheit in ihr lauern, eine fast schon brutale Willenskraft. Wenn es drauf ankam, würde sie standhaft bleiben, und das war demütigend. Sie würde ihre Überzeugungen niemals verraten.
»Diese Mullaveys. Ich habe schon genug über das Elend gehört, das sie in der letzten Woche verursacht haben.« Sie schwang einen Arm herum und deutete damit in Richtung Küchenfenster, in die Nacht hinaus. »Der Junge da draußen, von dem ich Ihnen erzählt habe, er ist auch vor ihnen weggelaufen. Er war Mr Andrews Fahrer, bis er etwas sah, das er nicht hätte sehen sollen.«
Justin war schlagartig hellwach. »Das ist Napolean da draußen?«
»Sie kennen ihn?«
»Er hat mich vor einigen Monaten vom Flughafen abgeholt und wieder zurückgebracht. Ich mochte ihn. Bevor wir abreisten, war es … als würde er versuchen, mich vor etwas zu warnen, aber er schien nicht direkt sagen zu können, was es war. Kann ich ihn sehen?«
»Nein, das geht nicht.« Sie war streng wie eine Schulmeisterin. »Das ist eine der wichtigsten Wochen in seinem Leben. Man stört keinen Initianten, der sich zurückgezogen hat. Ich bringe ihm sein Essen, aber selbst ich bekomme ihn nicht zu sehen.«
»Verstehe.« Er sank wieder auf seinem Stuhl zusammen. »Ich möchte Sie etwas fragen, über das Wochenende, an dem ich ihn getroffen habe.« Er griff in seine Hemdtasche und zog die Vogelklaue mit zwei Fingern heraus. Das Unbehagen, sie zu berühren, sie überhaupt zu besitzen, war größtenteils reiner Neugier gewichen. »Jemand in Mullaveys Haus hat dies auf dem Nachttisch neben meinem Bett versteckt. Ich habe mich nur gefragt … was es zu bedeuten hat.«
Mama Charity runzelte die Stirn, als sie das Ding ansah, dann zog sie es über den Tisch zu sich, um es näher in Augenschein nehmen zu können. Währenddessen stieß sich Moreno vom Tisch ab, nachdem er auf seine Uhr gesehen hatte, ging hinüber zum nächstgelegenen Fenster und sah hinaus. Die alte Paranoia war wohl nur schwer unterzukriegen.
»Sagen Sie mir eins, Justin«, murmelte Mama Charity. »Haben Sie gut geschlafen, während Sie dort waren?«
»So gut wie gar nicht.«
Sie nickte. »Sie sind bestimmt immerzu aufgewacht, was?« Sie hielt eine Hand ausgestreckt wie eine Klaue und griff nach seinem Gesicht; April dachte in diesem Moment, dass sie sie vielleicht zu vorschnell beurteilt hatte. Diese Frau hatte etwas Geheimnisvolles an sich. »Die ganze Nacht über kratzten Albträume an Ihrem Bewusstsein wie Vögel, die gegen ein Fenster fliegen. Sie fanden keine Ruhe.« Sie kicherte und ließ ihre Hand wieder auf ihren Schoß sinken.
»Warum sollte mir Mullavey oder sonst irgendjemand so etwas antun, das macht doch keinen Sinn …«
Mama Charity schüttelte ihren Kopf und machte ein ernstes Gesicht. »Das war weder sein Werk noch das seines Bruders. Ich habe von Napolean gehört, dass sie durchaus wollen, dass man in diesem Haus schläft. Oder Zeit mit den bemalten Damen verbringt, damit sie Haare und Nägel bekommen konnten … kleine Stückchen, die niemand vermissen würde, aber die den Geistern die Kontrolle übertragen, wenn sie in die richtigen Hände gelangen. Ich gehe davon aus, dass Ihr Freund zu Hause auf diese Weise gestorben ist, als seine Zunge derart anschwoll. Sie hatten seine arme Seele in ihren Händen.«
»Aber meine nicht«, raunte er. Er dachte an den großen weißen Leonard, der in Mullaveys Pool herumplanschte, während er Geschichten über seine Wochenendgespielin erzählte. Maniküre und sogar Pediküre. Justin wurde ganz schwummerig; wie dicht hatte er an diesem Wochenende davor gestanden, sein Leben zu verspielen …
Mama Charity hob die
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