Totenstadt
gut wie möglich zu genießen. Man konnte ihnen beim Braten und Schwitzen zusehen. Man sah, wie sie ihre blassen Beine auf erbärmliche Weise zur Eile antrieben und nach Schnäppchen jagten, mit denen sie zu Hause angeben konnten. Sie hätten ebenso gut Schilder auf dem Rücken tragen können, auf denen stand BITTE NUTZ MICH AUS.
Es machte auf dieselbe hirnlose Weise Spaß, ihnen zuzusehen wie den Eichhörnchen im Park.
Evan Erskine packte sein gigantisches Sandwich aus. Hier traf die italienische auf die kreolische Kultur, die Muffulettas hatten einen Durchmesser von fünfundzwanzig Zentimetern und waren gefüllt mit Salat, Oliven, Fleisch und Käse. Das Sandwich war so dick wie eine Familienbibel und musste geviertelt werden, und von diesen Vierteln bot Evan Aal eins an. »Möchten Sie was?«
»Nein danke.« Allein bei dem Anblick zog sich Aals Magen schon zusammen, vom Geruch mal ganz abgesehen.
»Sie wissen nicht, was Ihnen entgeht. Das ist Geistesnahrung.« Evan nahm das erste Viertel in Angriff und hatte die Augen genießerisch geschlossen.
Evan Erskine war eine von diesen durch und durch amerikanischen Kuriositäten; er würde mit seinem dicken schwarzen Schnurrbart und dem winzigen Bartfleck unter der Unterlippe auch als wahnsinniger PLO-Bombenleger durchgehen. Was nach Aals Meinung durchaus ein Vorteil war, denn wenn der Mann jemals von einem Zeugen gesehen wurde, brauchte er nur fünf Minuten mit Rasierklingen und einem Rasierapparat, und schon war er ein völlig anderer Mensch.
Das Sandwichviertel war verzehrt, kurz nachdem sie die Royal erreicht hatten, und das Papier knisterte, als Evan den Rest wieder einwickelte, um ihn für später aufzubewahren. Aals Fahrer, Lewis, fuhr weiter, bis sie die Conti passiert hatten, dann lenkte er den Wagen an den Gehsteig, schaltete den Motor allerdings nicht aus. Aal zeigte auf die Fassade eines Geschäfts auf der anderen Straßenseite, die einen beachtlichen Bereich des luxuriösesten Einkaufsbereichs des French Quarters einnahm.
»LJ Jewelers?«, fragte Evan. »Die soll ich überfallen?«
Aal nickte einmal. »Gibt es deswegen ein Problem?«
»Nein. Absolut nicht.«
LJ Jewelers war in Familienbesitz und schon seit mehr als vierzig Jahren hier im Viertel ansässig. Gegründet hatte es ein Treblinkaüberlebender aus dem Zweiten Weltkrieg namens Jablonski. Es ging ein beliebtes, wenngleich unbestätigtes Gerücht um, dass die Initialen eigentlich für Looziana Jude standen; einige Legenden starben nur schwer aus, während sich andere vollends weigerten, den Löffel abzugeben.
Das untere Stockwerk umfasste fast zweihundert Quadratmeter, eines von Hunderten von Geschäften im French Quarter, die im untersten Stock eines alten Gebäudes untergebracht waren, das schon seit fast zwei Jahrhunderten dort stand. Spanisches Schmiedeeisen umgab die Balkone in den oberen Etagen. Manchmal, wenn Aal einen langen Blick auf diese Gebäude warf, faszinierte ihn die Art, wie sich das Leben dort schichtweise manifestierte. Auf der Straßenebene herrschte der Handel, wohingegen man hinter den Balkonen Wohnungen oder etwas anderes vorfinden konnte. Zuweilen brachten die Dächer noch einen dritten Aspekt ins Spiel.
»Was springt dabei für mich raus?«, wollte Evan wissen.
»Fünfzigtausend.«
»Fünfzig Riesen pauschal? Für diesen Laden?« Erskine schnaubte einmal kurz. »Das ist doch ein Hungerlohn für so einen Job. Wenn ich mich entscheide, auf eigene Faust da reinzugehen, könnte ich zwei starke Kerle mitnehmen und allein mit dem, was ich in drei Minuten aus den Auslagen zusammenraffen kann, bestimmt zweieinhalb bis drei Millionen machen.« Evan schüttelte den Kopf. »Für fünfzig Riesen stehe ich nicht zur Verfügung. Ich bin der Beste in dieser Stadt, und fünfzig sind eine Beleidigung.«
Aal seufzte und griff seitlich an die Krempe seines Panamahuts, um sich damit Luft zuzufächeln. Er war sehr ruhig, sehr gefasst. Ein vernünftiger Mann, mit dem man verhandeln konnte. Er wandte seine eisblauen Augen Evan Erskine zu und blinzelte nicht einmal.
»Hätte ich den Besten gewollt«, sagte Aal sanft, »dann würden Sie jetzt immer noch in der Decatur sitzen und sich dieses ölige Sandwich reinziehen.«
Erskines Gesicht wurde so rot wie eine überreife Tomate.
»Sie gehören zu den Top Ten, das muss ich zugeben. Vielleicht auch zu den besten fünf. Das ist gut, das reicht völlig aus, das ist keine Schande.« Dann lächelte er, schmallippig und blutleer, und er legte
Weitere Kostenlose Bücher