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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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Er hatte in St. Louis genug ernsthafte Arbeit geleistet, um sich wegen seines Lebenslaufs relativ zuversichtlich zu fühlen.
    Und es hatten sich nicht nur einer, sondern gleich zwei Jobs ergeben. Der eine bei Segal/Goldberg lag aufgrund der Sonderleistungen eine klitzekleine Nasenlänge weiter vorn.
    Zehn Monate machte er den Job nun, und er hatte sich nach und nach weiter hochgearbeitet. Er musste sich immer noch beweisen. Aber zehn Monate waren schon nicht schlecht, fast schon Überholspur. Mit Mullavey Foods spielte er erneut bei den Großen mit, und er hatte das Gefühl, sich das auch verdient zu haben.
    Nach dem Treffen Mitte Juli in New Orleans, nach dem er unerwartet den Platz von Todd Whitley als Seniorcopywriter der Magnolienblüten-Kaffeepadkampagne einnahm, musste Justin richtig Gas geben. Er arbeitete hart und lange. Die Werbung für die Markteinführung sollte Ende September im Kasten sein, was ihn arg unter Druck setzte und keinen Platz für Fehler ließ.
    Er lieh sich Vom Winde verweht aus und verbrachte ein verlorenes Wochenende damit, sich den Film vier Mal nacheinander anzusehen, bis April ihm spaßeshalber drohte, ihre Tasche zu packen und zu ihren Eltern nach St. Pete zu ziehen, bis es wieder vorüber war. Howard Hughes hatte auch so angefangen, warnte sie ihn. Herumsitzen und sich achtundvierzig Stunden lang denselben Film ansehen? Es konnte nicht mehr viel schlimmer werden, dreißig Zentimeter lange, nach innen gebogene Fingernägel wären als Nächstes dran.
    Justin saß in Shorts und Trägerhemd vor dem Fernseher, den Eistee in Reichweite, einen Spiralblock in der Hand, um jede einzelne Szene, die er verwenden konnte, sofort zu notieren. Innerlich fügte er der Gleichung noch ein Kaffeepad hinzu und überlegte, wie sich die Szene anders abspielen könnte. Nur eine Idee verwarf er gleich zu Beginn. Prissy, die unreife Dienstmagd, war ein komisches Highlight mit ihrer Heliumstimme und all dem, und natürlich mit ihrem Geständnis, dass sie nichts darüber wisse, wo die Babys herkommen, aber Justin sah in dieser Beziehung nichts als Ärger auf sich zukommen. Nun gut. Ein vermeintlich allen Rassen aufgeschlossenes Amerika brauchte wahrscheinlich auch keine wiederbelebte Prissy, die schreit: »Aber wirklich, Miss Scarlett … ich weiß überhaupt nicht, wie man Kaffee kocht!«
    Schade.
    Im Büro trennte er die Spreu vom Weizen und hatte schließlich neun mögliche Szenarien für die Fernsehspots herausgesiebt. Er erarbeitete Drehbücher für dreißig Sekunden lange Spots und legte zusammen mit Nan die Storyboards fest. Die Faxleitungen zwischen Tampa und New Orleans liefen jeden Tag heiß, und die vier schwächsten Spots fielen schließlich raus, um Platz für die besten zu schaffen.
    Gleichzeitig versammelte sich die Produktionsabteilung, um einen passenden Ersatz für Scarlett O’Hara zu finden, was auch die schwierigste Besetzung darstellte. Die Talentsucher veranstalteten ein nationales Casting für jede Darstellerin, die Vivien Leigh in der Zeit um 1939 glich.
    Die Siegerin wurde letztendlich in New York gefunden. Sie war eine seriöse Schauspielerin, die fernab des Broadways auftrat. Während sie auf die Rolle vorbereitet wurde, suchte man nach den passenden Drehorten. In Orlando, dem neuen »östlichen Hollywood«, warb man einen Regisseur und eine Technikcrew an. Ein Fachmann für Werbemusik in Nashville bekam den Auftrag, eine Melodie zu schreiben, die an »Tara’s Theme« aus Vom Winde verweht erinnerte, dieses großartig anschwellende Orchesterstück voller Vorkriegs-Südstaatenromatik, das jedermann sofort erkannte. Die fertigen Lieder waren in zweiundsiebzig Stunden eingespielt, nur vom Komponisten, einem Programmierer und einem Studioingenieur. Die Mikrochiptechnologie machte ein Orchester völlig überflüssig. Synthesizer und digitale Muster konnten nach Belieben eingesetzt werden und gehörten auch keiner Gewerkschaft an.
    Die Räder des Fortschritts rollten, unausweichlich wie eine Dampflok, nur doppelt so ungeschickt. Und all das bloß wegen einer raschen Assoziation, in der Hoffnung, ein Meeting zu retten, das zur Hölle geworden war. Hätte Justin nicht einige Tage zuvor USA Today gelesen, hätten sich diese vergangenen Wochen wahrscheinlich völlig anders entwickelt. Und jetzt konnte er es nicht mehr ändern, selbst wenn er es versucht hätte.
    In der Nacht, bevor in Virginia die Dreharbeiten begannen, ging Justin durch den strömenden Regen und lieh sich erneut Vom Winde

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