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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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vermuteten Unzulänglichkeiten viel zu offensichtlich offenbaren, Mängel, die eine andere Frau wahrscheinlich nicht zeigen würde, zumindest temporär nicht. Die Irrationalität kannte alle Tricks, und je dreckiger diese waren, desto besser.
    Nun ging es vorerst darum, diese Furcht zu besänftigen. Sie wussten beide aus harter Erfahrung – die sie miteinander oder früher mit anderen gemacht hatten –, wie leicht bloße Worte über die Lippen kamen. Ein Augenblick der Manipulation konnte eine Fülle an leeren Versprechungen und nichtssagenden Zusicherungen nach sich ziehen, Justin zog den Stecker des Föhns aus der Streckdose, sodass sie nicht mehr von der warmen Luft umspült wurden. Er zog sie dicht an sich heran, nun Bauch an Bauch, und sie hatten Zeit. Alle Zeit der Welt.
    »Ich liebe dich«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Dich.«
    So. Es war schwer, den Klassiker noch weiter zu verbessern.
     
    Es war nicht immer so gewesen.
    Und sie waren immer da, die Erinnerungen an das vergangene Jahr. Nutzloser Ballast, den man stets mit sich trug und doch nie öffnete. Er konnte mit leerem Blick in jeden Spiegel sehen und sich fragen, wie gut er wusste, wer wirklich hinter diesen Augen lebte.
    Justin war im Mai vor einem Jahr in diese Stadt gezogen; es war ein letzter Versuch, sein Leben wieder aufzubauen nach einer wohlverdienten Verhaftung in St. Louis. Er hatte die Beweise beim Staat gegen die Freiheit eintauschen können, aber seine Ehe und seine Karriere waren den Bach runtergegangen. Der Rettungsanker war sein bester Freund Erik Webber gewesen, der in Tampa lebte. Erik hatte ihn auch April vorgestellt.
    Falsche Zeit, falscher Ort, falsche Entscheidung; eine Zufallsbegegnung mit einem kolumbianischen Amerikaner der zweiten Generation, Tony Mendoza, und einer monströsen Droge aus dem Regenwald von Venezuela hatten ihn in einen dunklen Strudel von Tod und Verrat hinabgezogen, und Erik war als Erster gefallen. Zwei Wochen später war es auf dem Damm über die Old Bay auf halbem Weg zwischen Tampa und St. Pete zum Höhepunkt gekommen. In der Nacht zuvor hatten sie sich derart angeschrien, dass er und April nun auf dem blutbedeckten Asphalt standen und in einer Art wackligem Patt mit Waffen aufeinander zielten. Aber der Damm hatte alles beendet, hier hatten sie einander angesehen, selbst dann noch, als er versuchte, für immer fortzugehen und sich dennoch fragte, ob die einstige Intimität je wieder hergestellt werden konnte. Er musste es wissen. Trotz all dem, was er wegen ihr durchgemacht hatte, liebte er sie noch. Er wollte wissen, warum sie es getan hatte, warum sie es wirklich getan hatte, und ob sie beide nichts weiter waren als ein Paar trostlose, geschundene menschliche Wesen. Justin hätte auch nicht an sich geglaubt, wenn er an ihrer Stelle gewesen wäre. Sie hatten einander verdient, sie konnten die Rettung oder die letzte Verdammnis des anderen sein.
    Er musste es wissen.
    Sie hatten es halbherzig versucht. Aber eine Versöhnung hieß noch lange nicht, dass sie glücklich bis an ihr Lebensende waren.
    Hätten sie allein bleiben können, wäre es vielleicht anfänglich gut gegangen. Aber nach der ganzen Mendoza-Affäre war es wie der chinesische Tod der tausend Schnitte. Rene Espinoza, die einzige Polizistin in Tampa, die auf seiner Seite gewesen war, hatte tapfer versucht, es ihm leichter zu machen, aber selbst sie rannte nur gegen die steinernen Mauern der Bürokratie an. Die Küstenwache fischte schließlich Mendozas Leiche aus der Bucht, und als die Augen der Justiz erblickten, welche Metamorphose sie durchlaufen hatte, und Justins Geschichte so untermauert wurde, konnten die Aktendeckel fest verschlossen werden. Je weniger darüber gesagt wurde, desto besser.
    Aber die Deckel waren nicht vollständig dicht. Hartnäckige Medienschakale rangen um jeden Fetzen Fleisch, und es war ihnen egal, was sie damit bewirkten. Irgendwie war sein Name durchgedrungen, Justin musste Telefongesprächen aus dem Weg gehen und stellte fest, dass jedes Mal, wenn er nach einem Botengang oder bei der Rückkehr aus einer Bar bei April vorbeifuhr, dort bereits jemand auf seine Ankunft wartete.
    Im gleißenden Scheinwerferlicht gingen April und er sich schnell an die Kehle, sie rissen alte Wunden auf und rieben die Nase des anderen in Sünden und Fehlern, die besser vergessen geblieben wären.
    Schließlich war er gegangen. Er hatte zufällig den Wagen des verstorbenen Erik Webber geerbt und fuhr damit zu den Keys, wobei er genauso

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